„Am Anfang war ich ein Nichts“: Exklusiv-Interview mit unserem Universum.
Remmidemmi der Elementarteilchen, das Gefühl, ein Hyperschall-Hefekloß zu sein und die Ungewissheit des Todes: unser erstaunlich empfindsames Universum im Gespräch.
Als ich das Interview angefragt hatte, sagte das Universum: „Wir können uns einfach bei mir treffen“. Jetzt, da ich ein paar Minuten zu früh zum Termin erscheine, ist es schon da. Macht einen auf cool. Minus 270° Celsius. Ist dabei aber nicht arrogant, eher zutiefst entspannt. Als laufe alles nach Plan und in die gewünschte Richtung. Ich setze mich an an den Tisch, auf dem ein Glas Espresso Macchiato steht. Unten Espresso, oben Milch. Daneben ein kleiner Löffel, mit dem ich Milch und Espresso mische. Die Unordnung im Glas nimmt zu. Und damit die Entropie im Universum.
Ich: Fühlt sich das gut an?
Universum: Ja, sehr angenehm. Meine Entropie ist mein ständiger Begleiter und innerer Antrieb. Sie gibt mir Kraft. Und ist gleichzeitig mein innerer Ruhepol. Denn egal ob supermassereiche Schwarze Löcher kollidieren oder ganze Galaxien ineinander rauschen: Ich kann mich stets drauf verlassen, dass meine Entropie immer weiter zunimmt.
Ist das auf Dauer nicht auch langweilig? Sich immer nur weiter auszudehnen bei zunehmender Entropie?
Welche Dauer? Ich werde demnächst erst 14 und hab seit meiner Entstehung die wildesten Geschichten erlebt. Am Anfang war ich ein Nichts, aber plötzlich ging’s heiß her, ich sag nur 10 hoch 32 Kelvin! Ich ging auf wie ein Airbag, ich dachte ich platze! Dann der Bruch der Symmetrie: Materie und Antimaterie wurden sich nicht einig und zurück blieben diese 10 hoch 90 Elementarteilchen, die seitdem Remmidemmi machen. Dank der guten alten Gravitation raufen sie sich immer wieder zu Sternen zusammen, die dann an und ausgehen wie Lampen. Da fühl ich mich manchmal wie eine invertierte Diskokugel.
Party on! Aber laut unseren Berechnungen beträgt Ihre Lebenserwartung nur 22 Milliarden Jahre, in 8 Milliarden Jahren ist die Party also schon wieder vorbei. Stimmt Sie das traurig?
Wie bitte?! Wie kommen Sie denn darauf? Das wusste ich gar nicht!
Hoppla, das tut mir leid! Ich dachte, Sie wüssten Bescheid? Jedenfalls denken die meisten unserer Mathematiker, dass es dann kein Halten mehr gibt und Sie auseinander reißen. Wir nennen das “Big Rip”.
Auch Du liebes Bisschen. Ich spüre zwar hier und da ein Ziehen von dieser ewigen Ausdehnerei. Hab jetzt aber noch keine Dehnungsstreifen oder sowas. Allerdings beunruhigt es mich ein wenig, dass ich mich immer schneller und schneller ausdehne.
Können Sie uns sagen, wie es dazu kommt? Wir vermuten, dass die sogenannte Dunkle Energie dahinter steckt, konnten sie aber noch nicht nachweisen. Obwohl sie 70% Ihrer gesamten Masse ausmachen müsste.
Sagen Sie, wollen wir uns nicht duzen? Wir stehen uns doch irgendwie nahe, nicht wahr?
Ich würde sagen: So nah wie ich einem Bakterium in meinem Darm stehe. Aber ja, gerne duzen. Um auf meine Frage zurückzukommen: Was hat es denn nun mit der Dunklen Energie auf sich. Und wenn wir schon dabei sind: Was ist mit der Dunklen Materie? Die müsste es doch auch geben, sonst würden sich die Sterne doch nicht so schnell um die Zentren ihrer Galaxien drehen!
Was weiß ich denn! Ich gehe halt auf wie ein Hyperschall-Hefekloß! Und Sie erzählen mir auch noch, dass ich bald den Auseinander-Reiß-Tod sterben werde. Also Du. Aber Du kannst ja auch nichts dafür.
Tut mir leid. Das soll hier ja auch kein Verhör werden. Aber es interessiert uns schon sehr.
Ja, ja, ihr Menschen wollt immer alles wissen und nachweisen und verstehen bis zum Gehtnichtmehr. Entspannt euch mal. Genießt eure ultrakurzen Leben – sorry, aber das ist schon ein bisschen niedlich: Wärt ihr Photonen, würdet ihr kaum 100 Lichtjahre weit kommen! Jedenfalls: Ihr müsst auch nicht immer alles wissen. Oder forscht halt weiter. Bei den Neutrinos habt ihr ja auch 30 Jahre gebraucht, um sie nachzuweisen.
Verstehe. Dann frag ich wohl auch lieber nicht nach Schwarzen Löchern.
Was Du damit gerade getan hast. Aber ich sag Dir eins: Die führen sich zwar auf, als seien sie ganz was besonderes. Machen einen auf schwarz und geheimnisvoll. Drehen die Raumzeit wie wild um sich herum, dass einem ganz duselig wird beim Zugucken. Aber in Wirklichkeit stehen sie enorm unter Druck. Hinzu kommt: Niemand will was mit Ihnen zu tun haben, alle haben Angst vor ihrer Singularität.
Wären sie börsennotiert, ich würde in Schwarze Löcher investieren. Sie sind die Zukunft – Deine Zukunft! Wenn Deinen Galaxien keine interstellare Materie mehr zum Verheizen haben, bleiben noch ein paar alte rote Sterne, Weiße Zwerge, Neutronensterne und Schwarze Löcher übrig. Und die werden am Ende alle Materie verschlingen.
Das würde aber viel länger dauern, als 8 Milliarden Jahre, die mir Deiner Meinung nach noch bleiben. Ihr könnt kaum bis übermorgen gucken und verpestet euren Planeten, weil ihr den Hals nicht voll kriegt, meint aber zu wissen, wie mein Ende aussieht? Naja, wir werden sehen. Ich werd’s sehen. Was ich jedenfalls weiß: Meine Entropie nimmt immer weiter zu. Und daran gibts nichts auszusetzen.
Ist das eigentlich Dein erstes Interview?
Du meinst, ob es in mir noch weitere Typen wie euch gibt? So Lebewesen? Ich sag nur: Datenschutz.
Du musst ja keine Namen nennen.
Netter Versuch. Außerdem habe ich keine Lust auf Stress. Mit Supernovas und kollidierenden Schwarzen Löchern komme ich klar. Aber unberechenbare Lebewesen, die sich gegenseitig bekämpfen? Autsch, nicht, dass die mich dabei verletzten!
Das klingt, als gäbe es noch andere Lebewesen neben uns Menschen!
Kein Kommentar.
Dass diese Lebewesen „unberechenbar“ sind, bringt mich auf dem Kosmologen Max Tegmark. Der sagt, dass es keine Wellen oder Teilchen und physikalische Gesetze sind, die Dich ausmachen, sondern reine Mathematik. Aber wäre dann nicht alles nur Abstraktion? Wie könnte ich dann eine konkrete Welt anfassen, sehen und sonst wie wahrnehmen?
Ich soll Mathematik sein? Ihr kommt ja auf die wildesten Ideen.
Naja, in der Praxis arbeiten wir schon mit dem Teilchenmodell. Quarks, Leptonen, das Photon und so weiter. Quantenmechanik und Relativitätstheorie funktionieren an sich super, aber wenn wir uns damit Schwarzen Löchern oder Deinem Urknall nähern, drehen die Gleichungen völlig frei.
Die gute alte Gravitation, stimmts?
Ja, die steht noch zwischen den beiden Theorien. Weder ein Graviton-Teilchen ist nachgewiesen, noch gibts eine funktionierende Theorie der Quantengravitation. Hast Du einen Tipp?
Die Frage, die ich mir hier stelle: Gibt es Erkenntnisse oder Wahrheiten, die sich mit einem menschlichen Gehirn nicht verstehen lassen?
Zumindest gibts wohl keine Fragen, die wir uns nicht stellen können. Eine letzte Frage an Dich: Gibt es noch mehr von Deiner Sorte?
Ich finde es schade, dass es Dir soviel darum geht, wie ich und alles funktionieren. Ich fände es schön, wenn Du Dich auch mal für mein allgemeines Wohlbefinden interessieren würdest.
Tut mir, leid. Wie geht es Dir denn im Großen und Ganzen? Deine kosmische Hintergrundstrahlung, Galaxien und Teilchen sind erstaunlich gleichmäßig verteilt. Also alles entspannt?
Leicht verstrahlt, auf dem ganzen elektromagnetischen Spektrum, hihi. Fühlt sich gut an. Ich bin zwar ein bisschen beunruhigt wegen Deiner Big-Rip-Theorie, aber im Grunde bringt mich das nicht aus der Ruhe. Irgendwann ist ja immer Schluss. Wann ist ungewiss, also freuen wir uns einfach über diesen schönen Moment und all die, die wir schon erleben durften.
Recht hast Du. Lieben Dank für das Interview und den Espresso Macchiato. Ich mach mich dann mal auf den Weg.
Ok, ich bleib noch ein bisschen.
Liebs!