Corona-Spezial: Körper und Bewusstsein im Gespräch
Während sich der eine biochemisch verausgabt, fantasiert das andere in Gedankenwelten umher. Ein Doppelinterview über Enzyme, saure Haut und zirpende Kreissägen.
Lieber Körper, liebes Bewusstsein: Schön, dass Sie noch einmal Zeit für ein Gespräch gefunden haben – ausgerechnet während einer gemeinsamen Krise. Schließlich haben sie es gerade mit dem Corona-Virus zu tun, nicht wahr?
Körper: Das sie können Sie ruhig groß schreiben. Ich bin hier der einzige, der die Viren zurückdrängt. Das ist knallharte Biochemie, Gedankenduselei hilft da nicht weiter.
Bewusstsein: Zumindest leg ich Dich ins Bett und trink Dir heiße Zitrone. Damit Du Dich auf den Kampf gegen das Virus konzentrieren kannst.
Körper: Ist lieb von Dir, aber um ehrlich zu sein: Zum Trinken und Liegen brauch ich kein Bewusstsein.
Anerkennung für ihren Kampf gegen das Virus sei Ihnen gewiss, lieber Körper. Wahrscheinlich haben Sie auch besseres zu tun, als mitten in der Akutphase der Infektion ein Interview zu führen. Doch lassen sie uns konstruktiv bleiben. Auch ihr Bewusstsein hat nur gute Absichten. Wie fühlen Sie sich, Bewusstsein?
Bewusstsein: Die Krise bringt mich meinem Körper näher. Und sie lässt mein Netz der alltäglichen Abhängigkeiten und Zwänge auf einen Punkt zusammenschnurren: aufs vollgeschwitzte Bett. Die unzähligen Muss dies, muss jenes sind vom Tisch. Da steht nur noch dieses Geht einfach nicht im Raum. Unter körperlich normalen Umständen bedrängt mich die Notwendigkeit, die familiären Stinkmorcheln während der sechswöchigen Sommerferien zu organisieren. Die berufliche Erwartungshaltung ist immer da. Hinzu kommen Dauerwünsche wie Besuche bei lieben Freunden. Und eigentlich würde ich gerne häufiger Sport machen. Doch diese Körperkrise dreht meinem SEEKING-System den Hahn ab. Zwangspause. Pause des Zwangs. Des Wollens. Des Könnens. Eingelullt in einem Nebel, der mich an Sternentstehungsregionen denken lässt: Als gäbe es in der Mitte meines Schädels ein gravitatives Zentrum, in dessen Richtung der Nebel drückt. Kopfschmerzbrei.
Körper: Um mal bei den Fakten zu bleiben: Kommen SARS-CoV-2 Viren in meine Atemwege getröpfelt, binden sie an Zellen, auf deren Membranoberfläche das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2) vorhanden ist. Das sind zum Beispiel Becherzellen in meiner Nasenschleimhaut. Mithilfe meines Enzyms TMPRSS2 gelingt es den Viren, in meine Zellen einzudringen. Aber hey, ich will TMPRSS2 oder ACE2 hier keinen Vorwurf machen. Sie können nichts für die heimliche, biochemische Trittbrettfahrerei der SARS-CoV-2 Viren.

Bewusstsein: Diese kleinen Biester braucht aber auch wirklich kein Mensch. Was wäre die Welt nur ohne Viren!
Körper: Was wäre die Welt nur ohne Ego. Ersetz mal Dich und Dein Wort Mensch durch Lebewesen, dann sind wir einem Zirkelschluss ganz nah. Zwar zählen Menschen Viren nicht als Lebewesen, aber das ist dem Universum genauso egal wie der Rausschmiss Plutos aus der Planetenkategorie. So gesehen wollen diese egoistischen DNA- und RNA-Moleküle flach gesagt das Gleiche: sich replizieren und optimieren. Wir spielen das gleiche Spiel wie die Viren, nach den gleichen Regeln. Wir Lebewesen in der Ökosphäre der Erde.
Bewusstsein: Das ist mir bewusst.
Körper: Sehr witzig. Die Erkenntnis hilft aber nicht beim Gefühl?
Bewusstsein: Im Moment erkenne ich vor allem Gefühle: eine pochende linke Schläfe, saure Haut, ausgefranste Bowdenzüge in den Waden, Augen wie die zu Halloween: Dosen-Litschis mit Blaubeerpupillen. Und ich höre mein Blut, wie es innen an den Ohren entlang knetet.
Körper: Das sind höchstens Affekte, also Fehlersignale, die Du da wahrnimmst. Gefühle sind komplexere Empfindungen, die aus den von mir von innen gesendeten Emotionen entstehen können, wenn ich Dich daran erinnern darf. Jedenfalls muss ich Dir wohl nicht erklären, dass so eine Corona-Infektion kein Pappenstiel ist. Die Sorte SARS-CoV-2 ist noch vglw. neu für mich, deshalb konzertier ich mich ganz auf den Abwehrkampf und leg Dich nieder.
Bewusstsein: Die Ressourcen seien Dir gegönnt, schließlich gibts ohne Dich kein mich.
Körper: Ohne Dich kein uns.
Bewusstsein: Wie süß von Dir. Dass Du zuerst kommst, merke ich leider immer erst so richtig, wenn es Dir schlecht geht. Du und Deine 1001 Stoffe. Deine Homöostase. Schickt Signale ans thermoregulatorische Zentrum im Hypothalamus und mich dann in den Fiebertaumel. Der ja auch seine interessanten Seiten hat mit Blick auf die taumelnde Wahrnehmung. Vorhin erst machte hier die Kirchenglocke Muh! Muh! Muh! Auf der Baustelle zirpte die Kreissäge in der Abendsonne. Die Hautfalte in der Armbeuge neben mir hatte schlechte Laune. Die Matratze war mit Blätterteig bezogen.
Sind meine Augen zu, sind die 6 Millionen Zapfenzellen der Netzhaut auf Photonen-Entzug. Kein Licht mehr da zum absorbieren. Dann fangen sie an zu fantasieren. 6 Millionen Pünktchen der Farben Blauviolett, Smaragdgrün und Gelbgrün streuen einen knisternden Himmel an die Innenseite meiner Augenlider.
Körper: Sorry, dass ich unterbreche, aber ich hab noch einiges an Killerzellen, T- und B-Lymphozyten T-Helfer- und -Gedächtniszellen, Makrophagen, Dendritschen Zellen und so weiter und so fort zu koordinieren. Eigentlich koordinieren die sich alle von selbst, aber energieaufwändig ist der Prozess alle mal. Ist es nicht das, was wir eigentlich sind? Ein komplexer Prozess, in dem Moleküle miteinander reagieren?
Bewusstsein: Solch deeper Shit von Dir! So kenne ich Dich gar nicht!
Körper: Vielleicht ist’s das Fieber. Das steigt.
Bewusstsein: Bevor auch ich in Tiefen verloren gehe, noch eine Anmerkung zu Deinem Unterton, dass Du hier mal wieder die ganze Arbeit allein machst: Mit ihren Bewusstseins haben die Menschen Anfang 2020 in Nullkommanix das Genom des SARS-CoV-2 Virus decodiert – mit seinen knapp 30.000 Nukleotiden übrigens eines der größten unter den RNA-Viren. Dank dieser groß angelegten Spionage-Aktion konnten wir Dir und anderen Körpern RNA-Infos zustecken, mit denen ihr euch auf eine Infektion vorbereiten konntet.
Körper: Zugegeben, das war hilfreich. Gerade weil es eine Zoonose war, also das Virus überraschend aus dem Tierreich kam, waren die wenigsten Körper vorbereitet und viele hat es dahin gerafft. Mittlerweile haben wir uns ja aneinander gewöhnt, und die Virus-Varianten sind nicht mehr so aggro.
Bewusstsein: Ich finde jedenfalls, dass uns so eine Krankheit einander näher bringt. Ich spüre Dich in all Deiner Schwäche, aber ich spüre Dich. In all Deiner Stärke spüre ich Dich beim Sport. Aber dazwischen vergesse ich Dich häufig. Das tut mir leid. Und jetzt fühlt es sich so an, fülle sich mein Kopf mit warmer Luft. Ich bin ein Mensch aus Knete. Kennst Du noch Fimo? Diese formbare Modelliermasse, die man im Backofen aushärtet? Hoffentlich härte ich im Fieber nicht aus.
Da brauchen Sie keine Angst zu haben, wenn ich Sie damit kurz unterbrechen darf, liebes Bewusstsein. Geben Sie sich ruhig dem Fieberdusel hin. Ich danke Ihnen beiden derweil für dieses Gespräch in Zeiten einer Krise und wünsche besonders Ihnen, lieber Körper, noch viel Erfolg beim Eindämmen der Infektion und eine schnelle Genesung.
Bewusstsein: Kalter Pudding in meinem Kopf, Eiskristalle auf meinem Rücken und vielleicht ein Satz des Pythagoras, wenn ich eine Linie von meinen Versen zum Hintern ziehe. Aber die Beine sind nicht rechtgewinkelt. Statt 90° ist da nur Nässe in der Kniekehle. Auch die: kalt.
Heiß hingegen: Die Empfehlung zu dsgf. Damit tut man sich und seinen Freund*innen viel Gutes. Das wirkt belebend. Das ist gesund!