Körper Frank kommt zu Bewusstsein
Folge 4: Ein Flugtraum, zähes Aufwachen und der Zettel im Mantel der Leiche.
Im September 2024 mogelte ich deep shit ganz flach das fiktionale Experiment Körper Frank unter. Drei Folgen erschienen: 1, 2 und 3. Es geht es um einen Mann namens Körper Frank Belling, der mit einer Freundin die Kosmetikmarke Haut drauf betreibt, die von ihren Fans in sozialen Medien frenetisch videozelebriert wird. Jedenfalls gibt es einen großen Fan dieser Serie, und weil der mich vor kurzen bat, mal wieder eine Körper-Frank-Folge zu fabrizieren, kommt hier Folge 4.
Körper Franks Kopf liegt da wie ein aufgeklappter PEZ-Spender. Leer. Auf seiner Unterkieferlade liegt kein Brausepulverbrikett. Frank atmet die Luft armdick durch seinen offenen Mund, dessen Innenwände schon ganz trocken sind. Sein Inion, der kleine Knochengipfel auf der Rückseite seines Schädels, drückt in den Schaumstoff der Sofalehne.
Folgende Gedankenschlange windet sich durch das Loch der Aufmerksamkeit in Körper Franks Kopf:
Von hier oben, von der Brücke, sehen die S-Bahn-Schienen aus wie eine Doppelnaht, vielleicht muss ich nur höher steigen, um einen kilometergroßen Pullover erkennen zu können, der über Berlin liegt und auf dessen Nähten S-Bahnen fahren.
Sprung von der Brücke ist gleich Schwung von der Brücke, ich spanne den Bogen der Beschleunigung mit meiner kleinen Kurve nach unten, breite die Arme aus und gleite nach oben. Von hier sieht man die Schornsteine der Häuser, Schnorchel, aber nur zum Ausatmen. Es gibt auch kleine Rohre mit Regenschirmen aus Metall drauf, damit sich die Häuser nicht am Wetter verschlucken. Viel Dachpappefläche, kaum Dachziegel auf den Mehrfamilienhäusern, die sich um ihre Innenhöfe klammern, die voll sind mit Tiefe.
Mein Flug in dieses Innenhofloch kann so nicht sein, ich falle nicht steil genug in die kleine Öffnung, ich müsste längst in eine Hauswand gekracht sein, aber jetzt in diesem Zimmer ist das auch egal. Warum hängt hier ein bärtiger, abgeranzter Mann wie ein Kleidungsstück über der Stuhllehne. Anders als lange Kopfhaare hängt sein Bart nicht lotrecht nach unten, sondern ist von der Schwerkraft nur leicht verbogen. Da liegt noch ein Mann, flach und ausgebreitet wie eine Decke liegt er auf dem Sofa.
Hinsetzen, mein Hintern kennt das Sofa, und die Decke aus Mensch hat das gleiche guatemaltekische Muster wie meine Decke zu Hause, Zacken hin und her, grellbunte Streifen, Gelb, Rot, Schwarz, Rosa, Lila, Blau, Türkis. Vor mir mein Wohnzimmertisch, darauf eine Dose Haut drauf Creme, ich bin zu Hause.
Mein Mund steht sperrangelweit offen, wie unangenehm, wenn mich jemand so sieht. Schließen kann ich ihn nicht, ich bin zwar in meinem Körper, fühle ihn aber wie von außen. Wie hieß das noch? Hypnopompie, diese Twighlightzone des Erwachens wenn der Schalter klemmt. Dann kehrt sich das Bewusstsein nicht von jetzt auf gleich nach außen, dann wacht man wie in Zeitlupe auf, fließend, und die warme Traumsoße ergießt sich über die echte Welt, die man mit den Augen längst wahrnimmt.
Der afrikanische Feigenbaum, den ich zusammen mit Simone gekauft hatte. In seinem Übertopf aus Jutefilz. Der curryfarbene Teppich mit unserem gemeinsamen Soßenfleck. Bücher im Regal von Yanagihara, Rattelschneck und das von Bolaño mit den vielen Leichen in Mexiko. Die Heizung mit ihren Rippen, die aus der richtigen Entfernung so aussehen wie die Längsriffel auf meinem pastellblauen Kaffeebecher.
Mein Körper hat die Jalousien zu früh hochgezogen. Ich glotze paralysiert in mein Wohnzimmer, und kann mich nicht bewegen. Wenn ich doch nur meinen Mund zu machen könnte!
Die Traumsoße fließt ab, in irgendwelche Ritzen der Realität, die immer sauberer und alternativloser daherkommt. Wahrnehmungsumkrempelung: Mein Innen stülpt sich rein, das Außen zieht sich über mein ganz persönliches Hier und Jetzt.
Verbindung wiederhergestellt. Endlich kann ich meinen Kiefermuskel ansteuern und meinen Mund schließen. Wie klebrig-trockenes Leder fühlt sich meine Mundinnenseite an, die zu lange dem Außen ausgesetzt war. Speichel marsch!
Körper Frank klappt seinen Kopf nach vorne, der PEZ-Spender schließt sich. Er versucht, seinen eigenen Mund zu schmecken, aber statt eines Schmatzens ist zunächst nur das Geräusch von Tapetenfetzen zu hören, die viel zu leise von einer Wand gerissen werden. Noch zu wenig Speichel.
Weit gereist blickt er sich nur kurz um, denn eine quer sitzende, aber immerhin sich auf dem Rückzug befindende Erektion erfordert seine Aufmerksamkeit. Er ruckelt sie zurecht, steht auf und zieht sich die Hosennaht aus dem Schritt. Mit seinen grau besockten Füßen geht er über den curryfarbenen Teppich. Beim Anblick des Soßenflecks ruckelt er noch einmal.
Simone müsste bald wiederkommen. Durst. Und hab ich vorhin wirklich eine Leiche gesehen? Erst dieser verrückte, barfüßige Investor mit all seinem Geld, dann diese staubige Frau, die tatsächlich tot war. Die Polizei kam ja auch, diese streng glänzende Polizistin hatte noch meine Daten aufgenommen. Durst.
Körper Frank öffnet die Tür zum kleinen Klo, wie er und Simone den fensterlosen Raum nennen. Ihm reicht das Licht des Flures, er beugt sich unter den Wasserhahn und dreht ihn auf. Aus dem Halbdunkeln guckt ihm eine afrikanische Holzmaske beim Trinken zu, die an der Wand hängt und sowieso immer zuguckt. Das Wasser läuft Körper Frank teils in den Mund, teils darüber hinaus.
Was nass muss, das nass. Zum Glück war die Frau irgendwie trocken. Geradezu ausgetrocknet, vielleicht schon länger tot, sonst hätte sie bestimmt fürchterlich gestunken. Kaffee und dazu ein Keks. Aber ich warte noch auf Simone, die müsste bald wiederkommen. Einen Keks kann ich aber schon essen. Wenn wir welche haben. Mit einem kleinen Glas Saft.
Körper Frank dreht den Hahn zu, benutzt seine Ärmelserviette und tritt zurück ins Licht des Flures, das die Sonne scheinbar unüberlegt, aber immerhin mit Lineal über Wand und Boden verteilt wie leuchtende Tangram-Teile.
Tausendfache Reibereien haben dazu geführt, dass der Türschwelle zur Küche in der Mitte Lack fehlt. Biestige Holzgänsehaut. Körper Frank schleift mit dem linken Fuß über die braune Stelle, Mikrosplitter bleiben in seiner Socke hängen.
Er setzt sich geübt auf den runden Hocker – seit 14 Jahren macht er genau diese Hintern-Absenk-Bewegung mittlerweile. Ein Silberfisch fühlt sich ertappt und verschwindet unter dem Kühlschrank. Gerät und Tier haben die gleiche Farbe. Sonst bewegt sich nichts in der Küche, nur das Display des Radios zählt innerlich Abstände und bereitet sich auf den Sprung von 16:32 auf 16:33 vor.
Körper Frank hört die Tür zum Treppenhaus: Quietsch auf, Rumms zu. Simone. An der Wohnungstür im ersten Stockwerk angekommen, sucht sie mit ihrem Schlüssel das Schloss. Dann das Geräusch, wie darin die Zylinderchen zurückweichen und die Schlüsseldrehung freigeben. Der Schnapper zuckt ins Schließblech, und Simone drückt die Tür auf.
„Hallo?!”, fragt sie in die Wohnung.
„Hallo, bin da“, meldet sich Körper Frank und hebt seinen Kopf. Er blickt zur offenen Küchentür, wo Simones Bauch in seinem Blickfeld erscheint. Als seien sie mit einem Packbandabroller aufgetragen worden, kleben die blauweißen Querstreifen ihres Oberteils auf ihrem Körper.
„Und? Wie war’s? Investition, Expansion, bist Du bald Creme-König?“
„Ja, vielleicht, also der Typ war ziemlich schräg, er kam barfuß und sprach von tausenden Quadratkilometern Haut, die es noch zu erobern gilt. Am Ende meinte er aber, seine Leute würden uns demnächst ein paar Angebote schicken. Mal sehen.”
Simone setzt sich so auf seinen Schoß, dass ihre Oberschenkel zusammen das #-Zeichen ergeben. Sie legt seinen Kopf an ihre Brust, sein Ohr horcht in ihre Achsel. Warme Ruhe.
„Das klingt doch erstmal gut! Schräg hin oder her, Geld ist Geld, also Wow!, je nach Angebot, aber es klingt schon ein bisschen groß, ganz schön aufregend!“
„Hast Du bei der Arbeit von einer Leiche in der Amselgasse gehört?“
„Wie kommst Du denn da jetzt drauf?“
„Ich hab die Leiche auf dem Weg nach Hause entdeckt. Da lag diese Frau im Eingang des Nähmaschinenladens, und ich dachte erst, die lebt bestimmt noch, aber müsste mal was trinken, die Frau sah total ausgetrocknet aus. Aber als ich sie mit einem Ast angestubst hab, hat sie fast geknistert, so trocken war sie. Eine Kollegin von Dir, so eine blonde mit Pferdeschwanz, hab mir ihren Namen nicht gemerkt, die hat meine Personalien aufgenommen.“
„Das war die Christhauer. Sie hat auf der Wache von dem Fall erzählt. Und sie hat auch erzählt, wie extrem trocken die Leiche war. Und, dass selbst die alte Pathologin meinte, sowas hätte sie noch nie gesehen. Echt schräg, sie haben bei der Leiche im Mantel auch einen Zettel gefunden, auf dem stand aggro mit drei Ausrufezeichen: Creme dich besser ein!!!“
Für die Vorfreude: In zwei Wochen gibts wieder eine Folge dsgf. Über die seltenen Wolf-Rayet-Sterne und mit wunderschönen Aufnahmen aus unserem Universum ✨