Körper Frank macht Feierabend
Das Staffelfilnale der neuen Experimentalserie: Bier-Yoga, vielleicht ganz viel Geld und eine Leiche.
Der barfüßige Investor Gernot Filser dreht seinen Körper auf der prächtigen Hornhaut seiner Verse und geht über den Treppenteppich nach unten. Frank schließt die Tür zur Wohnung, die er und Jolanta als Büro nutzen. Sie lächelt, hebt ihre rechte Hand zum High Five und klatscht ab mit Körper Frank. Der sagt:
„Wenn das klappt, verlieren wir komplett die Bodenhaftung. Dann können wir weiter dem Unsinn der Dinge frönen und Ideen entwickeln, die weit über Klatsch-Creme hinausgehen.“
„Duschkabinen, in denen das Wasser auch von unten kommt. Streichelmaschinen für Kinder, die in Kitas mit schlechtem Betreuungsschlüssel zu wenig Liebe bekommen. Bier-Yoga.“
„Das gibt es schon.“
„Ich hab ein bisschen Angst, dass wir vor lauter Unsinn depressiv werden.“
„Sind wir ja jetzt schon ein bisschen.“ Und Frank ergänzt: „Ich mach jetzt Feierabend und geh mich bewegen. Mach Du bitte zumindest heute eine Tanzpause. Schwitz Dich mal anders aus.“
„Ja, ja, ich geh nach Hause und lass mich heute Abend ins Sofa ziehen. Und werde daran denken, wie dieser Typ tausende Quadratkilometer Haut erobert – echt schräg.”
Frank guckt Jolanta in die Augen und legt ihr eine Hand auf die Schulter: „Sei lieb zu Dir.“
Um 12:15 Uhr sitzt Körper Frank seit 10 Minuten auf dem Rad. Sein Energiestoffwechsel heizt ihn auf, die Verdunstungskälte seines Schweißes hält dagegen. Er nimmt einen Umweg durch das unbekannte Viertel und versteht einen abstrakten Brunnen aus schmutzigen Platten mit Löchern darin nicht.
Random acts of water? Und welch Kälte doch das Gebäude abstrahlt, dessen Beton noch trocknet. Ein Winterloch. Egal wo ich bin, ich bin immer in der Mitte – die sich mit mir und meinem Fahrrad auf einer Linie bewegt. Und dabei nehme ich wenig wahr. Hat nicht dieser eine Typ ein hunderte Seiten langes Buch geschrieben, das nur davon handelt, wie jemand von der Türschwelle durch einen Raum bis zu seinem Schreibtisch gegangen ist? Vielleicht mal lesen. Mikroskopische Wahrnehmung. Und hoffentlich findet Jolanta zurück zur Leichtigkeit.
Als ungebetener Gast fährt Frank langsam und scheu auf dem Gehweg einer Kopfsteinpflasterstraße. Urin lässt die Eisenpfähle von Straßen- und Hydrantenschildern rosten und batikt Hausecken. Im Eingang eines längst aufgegebenen Fachgeschäftes für „Nä aschine “ liegt ein Frauenkörper. Alles ist braun: Der kaffeefarbene Stoff unter dem die Frau liegt und der eine Decke, eine Jacke oder ein Mantel sein könnte. Die rostigen Rückstände verdunsteter Flüssigkeiten auf dem Stoff, die an der unteren Metallborte der Nähmaschinenladentür und die auf dem Fliesenboden davor. Die nikotinfarbenen Tesafilm-Klebstoffreste am Fenster, dort wo Poster für Veranstaltungen hingen.
Vieles ist trocken: die staubigen Haare der Frau, ihre Lippen, auf denen sich die Ränder von Hautplättchen nach oben biegen und ihre Augen, die nur fast geschlossen sind.
„Alles halbwegs in Ordnung?“, fragt Frank die braune, trockene Bewegungslosigkeit, die da im Hauseingang liegt.
Er rollt ein paar Meter weiter und bricht einen Spross aus einer Linde, der untenrum ordentlich Wolle gewachsen ist. Zurück bei der Frau streicht er ihr mit den grünen Blättern über die Wange. Kitzelt ihre knisternden Lippen. Lässt sie an den Blättern riechen. Dann haut er drauf, mit den Blättern auf die Augen.
„Ihre“ Augen würde ich nicht mehr sagen. Wo kein „sie“ da kein „ihr“. Sind halt nur noch Augen. Abgeschaltete. Kontakt zur Außenwelt abgebrochen. System zusammengebrochen. Homöostase letal aus dem Gleichgewicht geraten. Dieser Körper nimmt nichts mehr wahr. Weder innen noch außen. Keine Sensorik anymore. Die Biochemie läuft weiter, aber nicht mehr nach dem Plan dieses Organismus. Der hat sich verabschiedet und seine Teilchen ihrem Schicksal überlassen. Feierabend of no return in der Amselgasse 43.
30 Minuten später guckt eine Polizistin auf Franks Personalausweis und fragt ihn: „Körper Frank? Das sind ihre eingetragenen Vornamen, Herr Belling?“
„Meine Eltern haben sich den Spaß nicht verbieten lassen. Sie sind dafür sogar vor Gericht gegangen.“
„Wie auch immer. Wir melden uns, falls wir noch Fragen haben.“
Er steigt aufs Rad und fährt den Rest der Amselgasse auf dem Gehweg, bis er auf die Fahrradstraße abbiegt und beschleunigt. Die Bewegung beruhigt. Fühlt sich an wie eine sinnvolle Beschäftigung. Viel Körper, wenig Frank.
Als er um 14 Uhr zu Hause ankommt, ist er durchgeschwitzt. Er fühlt ehrlichen Durst und freut sich auf ein Mittagessen, das Körper Frank gierig verlangt. Das Wasser läuft aus dem Hahn ins Glas und dann durch seinen Hals. In seinem Brustkorb breitet es sich aus wie kalte Wurzeln, als sei da gar kein geschlossener, bohnenförmiger Magenbehälter, sondern nur eine große Brustkorbgrube, in der alles durcheinander geht. Mit geschlossenen Augen spürt er den Luftdruck auf seinen Händen, den Druck des Hockers an seinem Hintern und den nassen Stoff seines T-Shirts am Rücken: sein Körper als dreidimensionales Objekt. Mit den Innereien gelingt ihm das nicht. Er kann weder spüren, wo sie sind, noch welche Formen sie haben. Er atmet ein und hört die Luft, in seiner Nase an Härchen und Popeln vorbeirauscht. Aber seine Lungen nehmen keine fühlbare Form an, egal wie voll er sie macht. Auch das Essen – dicke Stullen mit salzigem Käse und Gewürzgurken – fällt nur in die Grube, und die Sättigung strahlt aus einer allgemeinen Mitte. Klare Klumpen lassen sich nicht ausmachen. Auch nicht der Druck, den die Masse auf das Gewebe ausübt, wenn sie den Magen verlässt. Oder die Andersartigkeit eines Tumors. Es ist nur ein unverständliches Rauschen, das Frank aus dem Inneren seines Körpers wahrnimmt. Hier und da ein Ziehen oder das Schnurren, Knurren, Knattern und Quietschen von Gasbläschen. Aber was soll das schon bedeuten.
Der Kaffeebecher von Simone mit den Längsriffeln, die aussehen wie Rippen einer Heizung, steht auf der Spülmaschine. Die Maschine selbst steht einfach nur da. Daneben der Kühlschrank. Auch der Herd ist der gleiche wie gestern. Schrank: normal. Toaster: wie immer. Mülleimer: keine außergewöhnlichen Vorkommnisse. Radio: am Platz. Im Hof: Alle Mülltonnen in Reih und Glied, keine Überfüllungen, auch der Deckel des Papiercontainers ist geschlossen. Auf die Küche und Nachbar Pitzke ist Verlass.
In drei Stunden kommt Simone nach Hause.
Körper Frank cremt sich sein Gesicht ein und setzt sich im Wohnzimmer aufs Sofa. Er blickt tief in die Rippen einer Heizung. Davor liegt ein ähnlicher Teppich wie im Schlafzimmer: curryfarben, grob geknüpft, etwa drei mal vier Meter.
Egal welche Art von Leiche: Rollt man sie in einen Teppich, muss man den mit wegschmeißen. Auch wenn es eine Leiche ohne Blut ist oder ein, die nicht so dreckig ist wie die Frau vorm Nähmaschinenladen: Der Teppich ist nach dem Transport bestimmt bakteriell infiziert. Ganz zu schweigen von den Vibrations, die er danach verbreitet. Zumindest bei denen, die von seiner Geschichte wissen. Von daher könnte man Leichenteppiche guten Zustands danach auch verkaufen. Und ich werde Anteile an Haut drauf Kosmetik verkaufen? Gernot Filser, was für ein Typ. Aber das ist dem Geld egal. Ich treibe mit meinen Freunden in diesem vielleicht 80 Jahre währenden Strom, und bei all dem Treibgut, das vorbeikommt, sind die verrücktesten Sachen dabei. Gorillas in Ruanda, Machinehead live, Creme zum draufhauen, Hunderttausende Leute, die sich die Creme auf alle möglichen Hautpartien hauen, ein Investor, der sich seine Füße eincremen sollte, leichtes Piepen in meinen Ohren, leichter Druck unter der Schädeldecke, leichter Atem |
Körper Frank hat jetzt geschlossen.
Das war’s vorerst mit dem Experiment „Fiction“. Mir hat es viel Spaß gemacht, aber ob’s bei euch der Fall war, konnte ich nicht so richtig rauskriegen. Jedenfalls! Wer dsgf klassisch mag, hier die Links zu den Non-Fiction-Bestsellern
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