Neue Serie! Körper Frank.
Ein Mensch spürt sich durchs Leben. In Folge 1 wacht er massiv auf, diskutiert über Leichen im Teppich und schwitzt voll durch.
Jetzt wird’s literarisch: Mit der neuen Serie Körper Frank streift deep shit ganz flach auf dem erzählerischen Weg durch die Themen Bewusstsein und Universum. Angefangen mit den Folgen Körper Frank fährt zur Arbeit, Körper Frank arbeitet und Körper Frank macht Feierabend nimmt dieser Typ einen Alltag wahr, dessen Facetten ihn immer wieder faszinieren – während er versucht, Creme im Internet zu verkaufen. Kommentiert gern, wie ihr die Geschichten findet. Und schreibt mir, was Körper Frank noch erleben soll. 😘
Körper Frank fährt zur Arbeit
Als das Bewusstsein von Frank Belling angeht, ist es 6:30 Uhr. Sein Körper liegt wie erwartet im Bett, Frank fühlt rein: eine träge Masse, irgendwie noch nicht richtig zugehörig, bocklos liegt sie da. Nur langsam perlt Leben hinein wie ein billiger Schaumwein. Warum kann sich Aufwachen nicht so frisch anfühlen wie der Sprung in einen See am heißen Sommertag? Sowohl Bewusstsein als auch Körper sind noch – müde nennt man das wohl einfach.
Denken geht mühelos, also fängt Frank damit an.
Ich bin in der Mitte des Universums. So fühlt es sich immer an. Egal ob ich hier liege oder im Wald stehe, alles ist immer in gleichmäßigem Abstand um mich herum verteilt. Um diese unverrückbare Mitte in meinem Kopf. In der das Gefühl dieses schweren Körper zusammenläuft. Das Blut dickflüssig von der Nacht, die Nerven runtergedimmt.
„Nimm Kaffee“, sagt Simone und reicht ihm einen pastellblauen Becher mit Längsriffeln, die aussehen wie Rippen einer Heizung. Sie geben Grip.
„Danke.“ Er richtet sich auf und ordnet das Durcheinander in seiner Unterhose. Seine Gedanken nehmen Fahrt auf und Form an, das Koffein macht Druck.
„Ich finds wirklich viel gemütlicher mit dem Teppich“, sagt Frank.
„Auch praktisch, wenn man man mal eine Leiche wegschaffen muss.“
„Der Teppich an sich ist schon schwer. Und dann mit 60, 80 oder 100 Kilo Fleisch drin eingerollt? Super schwer. Auch irgendwie unhandlich. Wahrscheinlich müsste man die Leiche mit dem Bauch nach unten tragen, damit sie an der Hüfte nicht einknickt.“
„Aber dann knickt sie an den Knien ein. Vielleicht müsste man ein langes Brett mit einwickeln. Naja, ich geh mal lieber duschen.“ Noch nackt von der Nacht geht sie aus dem Schlafzimmer, zeigt sich den Wänden im Flur und verschwindet im Bad.
Hat sie den Kaffee nackt zubereitet? Zuzutrauen wäre es ihr. Jedenfalls ist diese zwischenmenschliche Schönheit immer wieder ein Grund zur Freude. Dieser sensorische Input ihres Körpers, der meinen verzückt. Der einfach Sinn ergibt ohne den geringsten Zweifel.
Körper Frank ist jetzt wach. Die weißen Gardinen streuen die Junisonne ins Zimmer, und es scheint, als schwimme der alte Kleiderschrank von seinen Eltern in fettarmer Milch. Als er davor steht, klart es auf. Frank nimmt sich ein gelbes T-Shirt, zieht sich eine 501 an und erfüllt die Pflicht des Anziehens. Geduscht hat er gestern schon.
Freust du dich auf den seifenfreien Tag, Haut? Lediglich unter den Armen muss ich etwas Deo ausrollen, ok? Heute kommt ja dieser Investor, da wollen wir lieber keine Geruchsrisiken eingehen. Die Frage ist aber auch: Was jetzt?
Vor wenigen Minuten schien das Nichtstun der einzige Weg, jetzt macht es Frank nervös. Also hängt er die Wäsche ab, eine Kategorie nach der anderen: Ihre und meine Socken, Unterhosen, Oberteile, lang und kurz, Hosen. Simone macht letzte Duschgeräusche: mit dem langen Holzgriff ihrer Bürste, die sie ans Utensiliengestell klappert. Mit dem Duschvorhang, der sich erschreckt, als sie ihn ruckartig zusammenschiebt. Und mit der Badezimmertür, die sie offen dem Wind überlässt.
„Lust auf eine frisch getrocknete Unterhose?“, fragt Frank, als Simone ins Schlafzimmer kommt, eingewickelt in das große, blauweiß gestreiften Handtuch, das sie einst an einem abendleeren Strand in Portugal gefunden hat. Seine Hände sind zu einer Schale geformt, als würde er ihr etwas heiliges übereichen wollen, aber es sind nur Unterhosen, die er ihr hinhält, durcheinander wie auf einem Grabbeltisch. Simone nimmt eine nahtlose.
„Fahr ruhig schon los.“
„Gleich. Ich mach noch die Wäsche fertig.“
Es ist noch vor 7 Uhr, als Frank die Haustür hinter sich ins Schloss zieht. Im Innenhof steht Nachbar Pitzke am Altpapiercontainer und redet mit den Kartons: „Ihr denkt, eure Bestimmung sei es, Dingen Raum zu geben. Das stimmt zwar größtenteils, aber denkt mal an euren Anfang und euer Ende: Da seid ihr schön flach mit einer Dimension weniger unterwegs. Müsst ihr ja auch, weil Raum rar ist. Damit viele von euch hier reinpassen, müsst ihr auch hier und jetzt flach sein!“
Pitzke zieht einen Karton aus dem Container, auf den zwei Pfeile, ein Weinglas und ein Regenschirm gedruckt sind und der etwa einen halben Kubikmeter überflüssigen Raum in sich trägt. Die Pappe sieht aus, als sei sie von weit her und durch verschiedene Klimazonen gereist: brüchig, mit Altersflecken. Pitzke zieht dem Karton das Klebeband ab wie alten Verband und faltet ihn flach.
„Guten Morgen“, grüßt Frank.
„Sie mal einer an, der Bellinger! Morgen! Mehr Pappe, weniger Luft im Container, damit wir alle was von seinem Raum haben, nicht wahr?!“ Auch Pitzke hat Altersflecken, am Schildkrötenhals, auf den Armen, an der Schläfe.
„Recht haben Sie, Herr Pitzke. Ich versteh ja auch nicht, ob es Dummheit, Faulheit, Eile, Ignoranz oder gar Absicht ist, weshalb gewisse Leute ihre Kartons in 3D in den Container werfen.“
„Für sowas gibts keine Entschuldigung!“
„Niemals. Aber bestimmt Gründe. So wie ich einen hab, mich jetzt aufs Fahrrad zu schwingen. Ich muss zur Arbeit, schönen Tag noch.“
„Dass sie keiner dieser Kartonidioten sind, seh ich doch an den Versandetiketten, Herr Belling. Schönen Tag auch!“
Körper Frank fährt unter dem Gerüst des Nachbarhauses durch, dessen Besitzer so geizig sind, dass die Behörden sie zur Sanierung der bröckelnde Fassade zwingen mussten. Papier wickelt Stein ein. Plakate wickeln Ampelmasten ein: in Yoga auf dem Feld, in Dog Wash A-Go-Go, Techno-Mittwoch und Fahrradflohmarkt an der Kirche. Ein Plakat über das andere geklebt, in Summe so dick, dass sie als Dämpfer für mögliche Kollisionen taugen.
Krähen und Tauben nutzen den leeren Morgen: Die einen waschen ihre Fundstücke an einem Trinkbrunnen, die anderen nicken und gurren von Geilheit gepeinigt um ihre Weibchen herum. Frank passiert das Partyschlachtfeld, auf dem neulich eine 21-jährige US-Amerikanerin gefallen ist – eine Pille zu viel, ausgerechnet in der Hochzeitsnacht. Davor sitzt einer, dessen Körper sich mit wellenförmiger Bauch-Hals-Gymnastik in den Vomitus steigert. Die Bewegung ähnelt der der Taubenmännchen.
Frank Bellings Körper schwitzt durch, den Anstieg zur Brücke fährt er im anaeroben Bereich.
Es gibt keinen Müll im Wald. Aber in der Stadt bleibt selbst ein kleines Apfel-Etikett-Blättchen am Fuß eines Verkehrsschildes hängen, in der Ritze zwischen dem runden Metall und dem behauenen Pflasterstein. In einem Badezimmer würde man sie mit Silikon abdichten.
Frank schließt sein Fahrrad an ein Halteverbotsschild.
Ich bin anschließend.
Ein Lieferwagen fährt vorbei und schleudert Luft auf ihn. Sie kühlt seinen freigelegten Rücken zwischen T-Shirt-Ende und Hosen-Anfang. Als er zum Hauseingang geht, drückt ihm der Rucksack einen Stempel kalten Schweiß auf. Im Hausflur rollt Körper Frank gedanklich eine Leiche in den langen Treppenteppich ein: Sie poltert die Stufen runter und verschwindet in einem dicken Teppichrohr, das stabil und knickfrei ist. Im zweiten Stock dann steckt er einen Schlüssel ins Schloss einer Tür, auf der mit Malerkrepp ein Blatt Papier befestigt ist. Darauf steht:
Haut drauf Kosmetik
Und, wie gefällt’s? Zumindest mangelnde Abwechslung der Formate kann man bei deep shit ganz flach nicht monieren:
Interviews mit Typen wie dem Universum, dem Körper oder dem Bewusstsein
App- und Buch-Empfehlungen
Foto-Serien
Artikel zu Dimensionen, Gefühlen und der Zeit.
Aber wie ist’s mit solch Literatur wie oben? Ich sehe dsgf ja auch als Labor, und mir macht’s Spaß, mit allerlei textlichen Farben, Flammen und Rauchwolken zu experimentieren. Was sagt ihr?
Was übrigens immer hilft: