Treffen sich zwei Zellen
Ein Versuch der reinen Faszination. Nicht so kritisch wie die Vernunft von Kant. Aber dafür deep und ganz flach: Wie kann das nur sein mit uns und dem Universum?
Treffen sich zwei Zellen im Eileiter einer Frau. Membranproteine der einen binden an Rezeptorproteine der anderen. Die Chemie stimmt, die Plasmamembranen der beiden fusionieren und schon bald fangen beide an zu rekombinieren. Die eine Zelle kommt von weit her, aus einem anderen Organismus, und sie war wie die andere vor diesem Treffen bei der Meiose, einem Zellteilungsprozess, der den doppelten Chromosomensatz halbiert, damit bei der Verschmelzung ein doppelter aus zwei Hälften entstehen kann.
Ein neuer doppelter Satz! In einer Zygote, die es so noch nie und nirgends gegeben hat.
Diese eine neue Zelle macht nun das in unserem Sonnensystem und weit darüber hinaus wahrscheinlich Abgefahrenste überhaupt: Sie teilt sich, und die Tochterzellen teilen sich und deren Töchter teilen sich. All die Zellen bleiben schön beisammen und bilden ein Team aus 28 Billionen Zellen. So viele braucht’s etwa für einen menschlichen, weiblichen 60-kg-Organismus. Stammzellen fungieren dabei wie eine Art Baumarkt, der alles liefert:
Von Ebner-Drüsenzellen, die Geschmacksknospen auf der Zunge waschen 👅
Typ I Haarzellen des vestibulären Systems im Ohr, um Beschleunigung und Schwerkraft wahrzunehmen 👂🏽
Zytotoxische T-Zellen, die infizierte Körperzellen eliminieren 💀
Hinzu kommen etwa 300 weitere Zelltypen, die sich die Arbeit untereinander aufteilen und dabei bestens organisiert sind. Der Laden läuft so gut, da träumt so manchen Unternehmen von!
Kurz zurückgespult: Nach dem Urknall gab es minimale Unregelmäßigkeiten in der Verteilung der Massen – wahrscheinlich, wegen der Unschärfe der Quantenmechanik –, dann verstärkte die gute alte Gravitation diese Unregelmäßigkeiten und es bildeten sich Klumpen, die so groß und schwer waren, dass unter dem Druck in ihrem Innern zwei Wasserstoff zu einem Helium fusionierte. Sterne gingen an. Mit dabei: Unsere Sonne.
Sie ist eine von Hunderten von Milliarden ihrer Art in der Milchstraße und hat im Laufe der Zeit einige Planeten um sich geschart. Bis hier haben wir der guten alten Gravitation viel zu verdanken! Auch, dass die Erde halbwegs gleichmäßig um die Sonne kreist. Auf dieser Erde ging es anfangs heiß her mit Vulkanausbrüchen, Lava, und Meteoriten, dann globale Eiszeiten – Mayhem! Aber schließlich waren die Bedingungen so stabil und passend eingestellt, dass sich Moleküle bildeten, die sich selbst replizierten. Hülle drum und fertig waren die ersten Zellen. Später kamen solche hinzu, die als Mehrzeller zu Menschen heranwuchsen, die
in einem Zirkus viele drehende Teller auf vielen Stäben balancieren können,
andere Menschen mit viel Liebe beim Sterben begleiten,
auf La Gomera leben und meditieren,
Machinehead hören,
angeln,
oder gar alle der oben genannten Sachen in ihrem Leben machen.
Oder, oder, oder. Muss man sich nur mal angucken, diese 8 Milliarden Menschen.
Ist es nicht eine wahre Freude, dieses Leben? Und das mit Abstand größte Faszinosum ever. In unserem Universum, auf unserem Planeten, aus der puren Physik mit ihren lächerlich wenigen Gesetzen ist über die Chemie plötzlich biologisches Leben entstanden, das in seiner Komplexität unfassbar ist. Die sich stets physikalisch verhaltenden Moleküle haben sich zusammengerauft und einfach mal mit Replikation angefangen. Das ist schon ein dolles Ding.

Treffen sich also zwei Zellen im Eileiter einer Frau, und die eine geht in die andere. Was dann passiert ist in etwa so, als würde man zwei Sandkörner auf eine Wiese werfen, die Energie und Nährstoffe liefert (wie das Enometrium/ die Gebärmutterschleimhaut), und aus den Sandkörnern entsteht dann intrinsisch ein Teilchenbeschleuniger mit Raketenabschussrampe und emotionsgetriebenem Quantencomputer (TReQ). Allein eine Ceruminaldrüsenzelle im Ohr ist komplexer als ein TReQ. Und die sekretiert nur Schmalz.
Der TReQ-Vergleich hinkt. Zwar basiert das, was aus den beiden Zellen entsteht, ebenso wie der TReQ auf den Gesetzen der Physik. Aber so ein Mensch ist deutlich faszinierender. Manchmal etwas ego, aber dieser ewige Wettbewerb ist wohl Teil des Plans, den die beiden Zellen in sich tragen. Meins, meins, meins.
Worauf ich hinauseiere: Beim Lauschen im Meeting, beim Blick über den Strand oder beim Verweilen am Bahnhof trifft mich manchmal und viel zu selten der Blitz der wertfreien Faszination Mensch. Womit wir beim tieferen Sinn ganz flach hinter diesem Format angekommen sind: sich mal schön wundern. Wundern darüber, wie das alles sein kann mit uns und dem Universum.

Und worüber wunderst Du Dich?