Von der Schabe zum Schabernack: Wie sich das Bewusstseins in unser Leben geschlichen hat.
Im großen DNA-Vervielfältigungsspiel liegen Bakterien zwar weit vorn. Aber lustiger ist es, ein Mensch zu sein. So richtig mit Bewusstsein und allem. Doch wie kommt's, dass wir denken können?
Das menschliche Bewusstsein bleibt eine verdammt deepe Angelegenheit. Flach beschreiben lässt es sich als die Wahrnehmung bestimmter, vom Körper als wichtig empfundener inneren und äußerer Reize …
… innen: Ich hab Hunger und muss pinkeln!
… außen: Ich werd verrückt, ist das ein schöner Blumenstrauß!
Flach beschrieben ist das Bewusstsein beim Menschen von allererster Güte, weil wir mit dem Sprach-Feature ausgestattet sind. Ein Gepard kann zwar problemlos pinkeln. Aber wenn er eine Antilope sieht, richtet er seine Aufmerksamkeit auf sie, ohne in Worten zu denken: „Nee, watt ein schönes Exemplar!” Kurzum: Bewusstsein, wie es die Forscher wie Metzinger, Damasio, Feldman Barett oder Solms es verstehen, ist kein Phänomen des Menschen allein.
Wie aber ist’s entstanden? Die Antwort von Antonio Damasio, Neurologe, Psychologe und Philosoph, gefällt hier gut, weil sie die haarsträubende Komplexität der Angelegenheit auf nur drei Schritte reduziert. Angenehm flach.
So ein Bewusstsein entsteht ja nicht von heute auf morgen. Oder mit Leuchtmitteln ausgedrückt: Die Evolution hat’s nicht einfach angeknipst, sondern im Verlauf der letzten knapp 4 Milliarden Jahren per Dimmer immer heller werden lassen (im Köpfchen).
Angefangen hat’s bei den einfach gestrickten DNA-Vervielfältigungsmeistern der Bakterien. Sie machen mit geschätzten hunderttausenden Arten ca. 12% der weltweiten Biomasse aus. Das mit der DNA-Rekombination und -Replikation klappt bei ihnen also bis heute ziemlich gut (und an den verrücktesten Orten). Aber darüber hinaus können Bakterien nicht viel mehr als sein. Womit wir beim ersten Schritt wären.
Grob 3,5 Milliarden Jahre hat’s dann nochmal gedauert, bis Vielzeller und Nervenzellen ins DNA-Vervielfältigungsspiel eingestiegen sind. Die konnten dann fühlen (Schritt 2). Der dritte Schritt wurde möglich, weil sich – quasi vor kurzem – immer leistungsfähigere Nervensysteme zur Verarbeitung innerer und äußerer Reize entwickelten. Die Rechenpower wurde groß genug, dass Informationen übers Sein und Fühlen abstrahiert, im Gedächtnis gespeichert, wieder abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden konnten
Sein
Fühlen
Wissen
Eine Schlussfolgerung, die sich geradezu zwingend daraus ergibt: Wissen ist evolutionsmäßig the latest shit. Total leading edge. Bestimmt auch gesund. Weshalb man es auf jeden Fall weiterempfehlen sollte! Mit diesem Link, den man auch super Freunden und Bekannten schicken kann. Weiß ich zu schätzen ;)
Jedenfalls:
Sein ist eine einfache Angelegenheit. Absolut betrachtet ist die Komplexität eines Einzellers allerdings doch sehr groß. Ich erinnere mich noch gut ans Biologiestudium und das Buch „Die Zelle”: Das war so dick, gefühlt 5000 Seiten! So komplex ist die biochemische Maschine einer Zelle, dagegen ist die komplexeste Maschine der Menschheit – der Teilchenbeschleuniger LHC – höchstens ein Schweizer Taschenmesser, höchstens ein siebenteiliges.
Allerdings: Für den Bau der ersten Bakterien hatte die Evolution mehrere hundert Millionen Jahre Zeit. Der Bau des LHC hat nicht so lange gedauert.
Bakterien fällt es schwer, vorauszudenken oder gar zu reflektieren. Vorgaben der Homöostase – schwer auszusprechen, aber wichtige Sache, nämlich das Gleichgewicht aller möglichen stofflichen Parameter – und das molekulare Drumherum beeinflusst das Stoffwechselgeschäft, das auf die Homöostase ausgerichtet ist. Unterm Strich wichtig: Dass das DNA-Vervielfältigungsspiel gelingt.
Um Fühlen zu können, muss man zumindest Mehrzeller sein. Und man muss Informationen der Innen- und Außenwelt differenzierter verarbeiten können: mit einem Nervensystem und den entsprechend spezialisierten Zellen. So ein Nervensystem ist ein echter Gamechanger. Es ist der Dimmer, der später das Bewusstsein ganz groß rausbringen wird. Aber schon Gefühle waren ein Riesenvorteil im großen DNA-Vervielfältigungsspiel. Furcht oder Wut, aber auch soziale Koordination und Kooperation waren Dinge, von denen Bakterien nur träumen konnten. (Nee, konnten sie nicht.) Gefühle machten echte Erlebnisse möglich – kostbare Informationen, mit denen die entsprechenden Mehrzeller besser einschätzen konnten, wie erfolgreich sie im Leben bzw. DNA-Vervielfältigungsspiel sind.
Steigt die kognitive Kapazität weiter an, kommen Arbeitsspeicher und Gedächtnis hinzu, können Gefühle bewusst werden. Es bilden sich Repräsentationen, also Landkarten und Bilder, mit denen die Informationen von innen und außen in Beziehung zu einander gesetzt werden, um bessere Entscheidungen treffen zu können. Auch hier geht es primär um die Homöostase und den lebenswichtigen Erhalt der Körperfunktionen (steht auch in Buch 2 der Buchtipps von neulich). Ist mit unserem Körper alles soweit im Lot, bleibt Zeit zum Denken und Spielen. Wichtig für Papageien, Kraken, Orcas und andere schlaue Füchse: die drei Schritte zum Bewusstsein greifen bei ihnen ineinander. Sein muss sein, das ist klar. Aber Wissen ohne Gefühle geht nicht.
Damasio schreibt: „Ohne Bewusstsein kann man nichts wissen.” Liest man die Ansätze anderer Neurologen, Psychologen und Philosophen, stimmen sie damit im Großen und Ganzen überein. Sprache braucht’s für Bewusstsein zunächst nicht. Weshalb sich die meisten Forschenden mittlerweile einig sind, dass zahlreiche Lebewesen ein Bewusstsein in dem Sinne haben, dass sie äußere und innere Reize bewusst wahrnehmen, in einer Art Arbeitsspeicher verarbeiten und zu informierten Entscheidungen gelangen.
Was eine Untertreibung ist, wenn man an die Orca-Anekdote denkt: Liegt eine leckere Robbe auf einer dicken Eisscholle. Die Orcas wuchten sich auf die Kante, aber die Eisscholle bricht nicht. Sie schwimmen ca. 100 Meter zurück, drehen sich wieder Richtung Scholle, tauchen in einer Viererreihe ab, geben Vollgas und erzeugen kurz vor der Scholle mit ihren vier Fluken eine Welle, mit der sie die Robbe vom Eis spülen. Ins Maul des Orcas, der auf der andere Seite gewartet hat. Beobachtet hat man auch schon, wie die die Robbe danach nochmal auf die Scholle werfen, um ihren Kleinen den Trick zu zeigen.
Und wir bauen Teilchenbeschleuniger.
So viel zum Ursprung unseres Bewusstseins und wie es die die Evolution im Laufe der sehr langen Zeit angedimmt hat. Unvorstellbar finde ich – ähnlich wie die 4. Dimension – die Frage: Was wird ein Mensch oder eine von ihm abstammende Art fast forward in ein paar hunderttausend Jahren mental drauf haben? Mehr Arbeitsspeicher? Viele Dinge gleichzeitig tun können? Ein Supergedächtnis? Und wie würde sich das anfühlen mit so einer kognitiven Superkapazität? Voll relaxed und reflektiert? Emotional kontrolliert? Ich hab keine Ahnung, frage mich aber, ob es Forschende gibt, die sich darüber gute Gedanken machen. Falls jemand jemand kennt, danke für einen Hinweis per Kommentar.