Ferngesteuerte Ameisen und die Kunst, Bullshit zu erkennen
Laber Rhabarber, wir erzählen uns wilde Geschichten, behaupten dies und jenes und sind total überzeugt von so manchem. Hier ein paar Tipps, wie sich die Erkenntnisspreu vom Weizen trennen lässt.
Wenn eine Schnecke die Eier des kleinen Leberegels frisst, schlüpfen daraus in der Schnecke sogenannte Miracidien, die über verschiedene Stadien zu Zerkarien werden. Die wandern mit Enzymen und Haken in die Atemhöhle der Schnecke und werden von ihr in einem Schleimbällche ausgeschieden. Ameisen stehen auf die Bällchen wie Kung Fu Panda auf seine Hefeklößchen. Und jetzt kommts: Ein kleiner Spezialtrupp der Zerkarien wandert in der Ameise in deren Unterschlundganglion – in den Nervenknoten unterhalb der Speiseröhre. Um die Ameise fernzusteuern.
Während all die anderen Ameisen nach Hause gehen, steuert die Zerkarie ihre Ameise auf die Spitze eines Halms und lässt sie dort kräftig zubeißen. Beißkrampf. Warum? Weil der Endwirt des kleinen Leberegels – Schaf, Ziege, Rind, Hase, Schwein, you name it – die Ameise und damit die Zerkarie dann wahrscheinlich zum Frühstück verspeist. Mäh!, Muh!, Grunz!, schon hat der Leberegel seinen Lebenszyklus über zwei Zwischenwirte geschlossen. Und dabei mal eben eine Ameise ferngesteuert – das soll ihm mal erstmal jemand nachmachen!
Schwachsinn? Kuhscheiße? Bullshit? Das ist eine gute und wichtige Frage. Eine, die sich jede*r von uns immer wieder stellen sollte. Nach dem Motto: Immer schön skeptisch bleiben! Meint: Zusammenhänge logisch hinterfragen. Meint nicht: Aluhüte aufsetzen. Mir liegt diese Folge zum kritischen Denken am Herzen, weil ich oft das Gefühl ab, von Wahrheits-Sprudlern umgebene zu sein.
Es erlebe diese zwei Arten von Konversationen: Jene mit Personen, die erstaunlich viel wissen. Wann und wie China Taiwan angreift, welche Fahrradwege der Berliner Bürgermeister Wegner zurückbauen will und, dass zu viel Glutamat im Alter zu porösen Knochen führt. Und jene mit Freunden, die vor allem Fragen stellen, gute Witze machen und sich darum drehen, dass es dringend wieder einen Science Fiction Film auf dem Niveau von Intertstellar braucht. Letztere sind lebendig vor Leichtigkeit, weil es dabei nicht um sogenannte Wahrheiten geht. Wahrheiten sind anstrengend. Denn man sollte sie nicht leichtgläubig hinnehmen, sondern stets gründlich hinterfragen. Klingt anstrengend, ist es auch.
Um kein Opfer des Bullshit zu werden, kann man zwei Dinge tun: Sich anstrengen und der Sache auf den Grund gehen. Oder die Sache als ungeprüft zur Kenntnis nehmen, aber nicht ins eigene Weltbild einbauen. Denn das sollte ja nicht mit Bullshit gemalt sein.

Wie aber lässt sich Bullshit erkennen? Das hat John V. Petrocelli1, Psychologie-Professor aus den USA eingehend in seinem Bullshit Studies Lab erforscht. No shit. Er hat auch ein empfehlenswertes Buch geschrieben: The science of detecting bullshit.
Doch was ist bullshitting eigentlich? Im Unterschied zur absichtlichen Falschaussage des Lügner, erzählt der Bullshitter einfach dummes Zeug, ohne sich um Fakten, Beweise oder Wahrheit zu kümmern. Sie oder er könnten aus Versehen sogar die Wahrheit erzählen, wenn sie von Glutamat und porösen Knochen erzählen, ohne es zu wissen. Bullshitter verfolgen verschiedene Ziele: Manche wollen einen auf dicke Hose machen. Andere wollen Fehler verschleiern. Oft geht es auch darum Expertise und Erfahrung vorzugaukeln und einen Wissensvorsprung zu nutzen. Einige sind betrunken.
Wenns bequem ist und gut ins eigene Weltbild passt, geben wir uns Bullshit auch gern mal hin:
Bullshit zu erkennen hingegen ist nicht schwer. Man muss eigentlich nur einen gewissen Anspruch mitbringen und den in Form von Fragen einfordern:
Klarheit: Was bedeutet eine Aussage konkret? Was steckt hinter Bullshit-, Bla- und abstrakten Begriffen wie Gamechanger, Agilität oder Nachhaltigkeit?
Konsistenz: Ist das Gerede widerspruchsfrei?
Kohärenz: Hängen die Aussagen nachvollziehbar miteinander zusammen?
Glaubwürdigkeit: Ist die sprechende Person Expertin oder zitiert sie glaubwürdige Expertise anderer?
Subjektivität: Ist das Gerede stark mit Meinung und Interesse gewürzt?
Wer mehr nach dem Was und Wie als nach dem Warum fragt, bleibt kritisch. Und baut weniger Bullshit ins eigene Weltbild ein. Solider und empfehlenswerter ist hier etabliertes Wissen, das sich übrigens in vier Kategorien einteilen lässt
Semantisches Wissen: Das sind Dinge, wie sie im Wörterbuch stehen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ein Baum eine verholzende, mehrjährige Pflanze ist, die meist einen Stamm hat, viele Äste, Blätter, Blüten etc.
Logisches Wissen: Die deepen Fundamente der Mathematik, etwa wenn A > B und B > C dann ist A > C. Oder wenn Gödel mit seinem Unvollständigkeitssatz Hilbert Traum der vollständig erklärbaren Mathematik einfach auslöscht. Interessant für unser Thema: Seit Gödel gibt in formalen Systeme immer Aussagen, die weder bewiesen noch widerlegt werden können.
Wissen eines Informationssystems: So eines, wie Gödel es sich vorgeknöpft hat. Aber, dass 45 + 11 = 56 sind, stimmt trotzdem.
Empirisches Wissen: Etwas, dass wir mit empirischen Daten belegen können, die wir über unsere Sinne aufnehmen. Es stimmt, das als nächstes hier das Wort BULLSHIT steht. Siehste ja. Andere empirische Daten, etwa aus Experimenten, führen auch zu belastbarem Wissen.
Kombinieren wir Empirie mit Logik, kommen die tollsten Sachen dabei heraus. Etwa unsere Erkenntnisse über die Entstehung von Sternen, ohne, dass wir jemals da waren. Und die sehen auch noch richtig gut aus.
Die Story mit den Zerkarien des Leberegels, die Ameisen fernsteuern, ist übrigens kein Bullshit. Die ist nur eine Anekdote aus dem Leben. Eine weitere erzähl ich nächsten Sonntag: Wenn eine ganz eine wichtige Zelle aus der embryonalen Sondermülldeponie in die Gonadenhöhle reist.
Hab heute Nacht von ferngesteuerten Ameisen geträumt!!
Der Text ging deep 😅