Gefühle sind nur Konzepte?!
Das behauptet die Neurowissenschaftlerin Lisa Feldman Barrett – und zwar ziemlich überzeugend. Weniger real werden Gefühle dadurch nicht. Aber sie lassen sich besser verstehen.
In einer der letzten Folgen von dsgf ging es darum, wie wir uns durchs Leben simulieren. Stets gesteuert und beeinflusst von unserem körperlichen Zustand, nehmen wir die Welt subjektiv wahr. Der eine so, die andere so. Flach ausgedrückt: Satt und gesund können wir es uns erlaube, die Gedanken schweifen zu lassen. Ausgehungert1 setzen wir andere Prioritäten und machen den Einkaufswagen viel voller als sonst. (Dass wir unseren Körper vor lauter Denkerei manchmal fast vergessen, wird auch in diesem Doppelinterview mit einem Körper und einem Bewusstsein deutlich.)
Wie schon die Simulator-Folge ist auch diese von Lisa Feldman Barretts Buch „How Emotion are made“ inspiriert. Ich habs nämlich endlich durchgelesen. Gastauftritte haben später außerdem noch: Clemens J. Setz, österreichischer Schriftsteller, sowie Douglas Adams und Stephen Hawking.
Wer Gefühle besser verstehen möchte, kommt an der guten alten Komplexität nicht vorbei. Womit wir direkt bei Stephen Hawking wären, der einst sagte: „Dies wird das Jahrhundert der Komplexität“. Ob Klimawandel, neuronale Netze oder Genetik: Mit dem zunehmenden kollektiven Wissen können wir die Welt granularer verstehen. Das alles da draußen ist in Gänze nicht zu begreifen für Einzelpersonen, da droht der Kollaps durch Überdosis. Unfassbar beispielsweise, dass es seit kurzem auch noch diese MicroRNAs gibt, für deren Entdeckung es neulich den Medizin-Nobelpreis gab. Wikipedia: „MicroRNAs spielen eine wichtige Rolle im komplexen Netz der Genregulation, insbesondere beim Gen-Silencing, und sie regulieren die Genexpression hochspezifisch auf der post-transkriptionalen Ebene.” Faszinierend! Aber in dieses Gefühl gemischt war zumindest bei mir auch eine gute Portion Ehrfurcht vor der nochmals gestiegenen Komplexität dieser krassen Körpermaschine.

Auch unser Hirn ist unfassbar komplex. Dieses Organ, das unserem Körper dabei hilft, effizient seine Ziele zu erreichen (allem voran: Überleben), steht selbst vor der Herausforderung, aus all den Daten über seinen eigenen Zustand (Interozeption) und denen, die aus der Welt da draußen reinkommen (Geräusche, Gerüche, Licht, Druck etc.) halbwegs sinnvolle Schlüsse zu ziehen. Warum? Um, man kann es nicht oft genug sagen, effizient Ziele zu erreichen. Und die variieren je nach innerer und äußerer Situation. Sagen die Daten aus dem Inneren, dass der Zuckerspiegel zu niedrig ist, nehme ich die Dinge im Supermarkt viel positiver wahr und mach den Wagen – s. o. – viel voller als sonst.
Aber zurück zu den Gefühlen. Lisa F. B. nimmt einen neuen, konstruktivistischen Weg, um Gefühle zu erklären. Früher dachte man, es gäbe neuronale Fingerabdrücke für die einzelnen Gefühle. Es sollte es einen Traurigkeits-Schaltkreis geben, einen für Wut, einen für Fröhlichkeit usw.. Doch so einfach ist’s wohl nicht mehr. Das limbische System ist zwar an Gefühlen beteiligt, gilt aber längst nicht mehr als die eine funktionelle Einheit, in der sie entstehen. Es gibt auch nicht hier die Emotionen und da die Ratio, die sie zügelt. Vielmehr entsteht alles in anpassungsfähigen, multifunktionalen Netzwerken. Flach ausgedrückt.
Zwar gibt es gewiss vom Beobachter unabhängige, biochemische Prozesse, die in uns Organismen ablaufen. Aber es gibt halt auch diese verzwickte subjektive und vom Beobachter abhängige Wahrnehmung. Beispiel Fürsorge: Bestimmt feuert ein gewisses neuronales Netz, wenn das eigene Kind im Baumarkt verloren geht. Nur halt nicht immer das gleiche, weil das Fürsorge-Gefühl speziell auf die eine Situation zugeschnitten ist. Dieses Prinzip der sogenannten neuronalen Degeneration gilt auch für künstliche Intelligenz: Verschiedene neuronale Netze können zum gleichen Ergebnis führen.
Um beim Beispiel des Gefühls zum verlorenen Kind zu bleiben: Auch das ist komplex. Viel Angst, aber auch eine Portion Optimismus – weg sein kann es ja nicht, und eine Entführung?! Eher unwahrscheinlich, trotz Hermanplatz – hinzu kommt Scham und Ärger über das eigene Versagen, nicht ausreichend aufgepasst zu haben und dann noch der Schweiß, der einem ins T-Shirt nässt. Ist der eigentlich noch Teil des Gefühls?
Diese Gemengelage der Wahrnehmung kommt nicht von ungefähr, sondern ergibt sich aus den Vorhersagen, die unser Körper anhand innerer und äußerer Daten erstellt, um seine Ziele zu erreichen. Eins davon – diesen niedlichen, kleinen Fortpflanzungserfolg zu sichern – ist in Gefahr. Und weil die Wahrscheinlichkeit am größten ist, dass der kleine Fortpflanzungserfolg in einem der Gänge rumeiert, gucken wir da und nicht oben an der Decke oder in unserer Hosentasche. Denn, so Lisa F B:
Your brain ist predictive, not reactive.
Da die Kind-im-Baumarkt-weg-Angst nur eine von vielen Ängsten ist und es viele verschiedene Arten von Freude, Ärger und all den anderen Gefühlen gibt, sind wir wieder beim Thema Komplexität und diesem Ärger – oder ist es eher Unmut über die bevorstehende Anstrengung? –, dass es alles nicht so einfach ist.
Doch die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Lisa Feldman Barrett schafft es trotzdem, in der Twighlight-Zone aus physischer und psychischer Realität zu erklären, was es mit unseren Gefühlen auf sich hat. Ihr Vorschlag: Gefühle sind – wie so vieles in unserer Wahrnehmung – Konzepte, mit denen wir uns die Welt um uns herum erklären. Mit denen wir noch bessere Vorhersagen für unsere Simulation machen können.
Konzepte? Gemeint sind Muster, die wir schon als Kleinkind lernen, zu erkennen. Das Konzept „Gesicht“ lässt sich gut an zwei oberen runden Formen erkennen, unter dem dieses eher senkrechte Gebilde zu sehen ist. Dann die waagerechte Linie und noch viel mehr. Das Konzept „Mama“ ist angereichert mit einem ganz bestimmten Geruch und Geschmack, mit einer Stimme und vielen weiteren Details. Praktisch für das effizienzgetriebene Gehirn: Es muss nicht ständig all die Mama-Rohdaten verarbeiten, sondern kann ab einer bestimmten Wahrscheinlichkeit der Datenlage auf das Konzept Mama vereinfachen. Hört es: „Du kleines Niedliches!“ mit dieser Stimme, die es schon aus pränatalen Zeiten kennt, reicht das, um das Konzept Mama treffsicher vorherzusagen.
Concepts are linked to everything you do and perceive. And that’s linked to your body budget.
Konzepte eignen sich gut, um Komplexität zu reduzieren und so Energie zu sparen. Und weil unser Hirn total auf Effizienz steht, bringt das ein ernsthaftes Problem mit sich: Wir lieben einfache Wahrheiten. Und fallen gern auf vermeintlich kausale Zusammenhänge rein. Wenn wir Dinge nicht gleich verstehen, weil sie zu komplex sind, nehmen wir Abkürzungen. Mit diesem sogenannten affektiven Realismus erklären wir und jeden Tag die Welt und fallen dabei auf uns selbst rein.
What we experience as „certainty“ – the feeling of knowing what is true about ourselves, each other and the world around us – is an illusion that the brain manufacturers to help us make it through each day.
Schlimmer ist nur, wenn wir auf Leute hereinfallen, die verlockend einfache Erklärungen für komplexe Phänomene bieten. Ein Beispiel von viel zu vielen, das mir gerade zufällig über den Weg gelaufen ist: Dr. med. Strunz schreibt in seinem Buch, bei dem es um das sehr komplexe Thema der Verdauung und daraus resultierender Krankheiten geht: „Carbs machen dick, faul, krank und vorzeitig alt!“. Bei solch einer Aussage sollten die Bullshit-Alarmglocken nur so klingeln (Wie man seine eigenen sensibilisiert, steht in diesem Text.)
Was aber hilft gegen die eigene mentale Faulheit? Gegen den Drang, all dies unverständlichen Zusammenhänge mit einfachen Erklärungen abzuhaken. Es hilft, die Unwissenheit als das zu akzeptieren, was sie ist: lauter Fragezeichen. Aber auch mit Fragezeichen kann man sich wohlfühlen. Und vor allem kann man ihnen mit Neugier begegnen. Man kann fasziniert sein von all den unbeantworteten Fragen. Ist doch nicht schlimm, dass die Welt da draußen den eigenen Verstand überschreitet. Soll sie ein spannendes Mysterium bleibe, soll sie nur weiter prickeln! Bis jedes Bläschen eine Folge deep shit ganz flach ist 😅.
PAUSE!
Zwar haben die anderen Nebenrollen ihren Auftritt noch nicht gehabt, aber das werden sie bestimmt in einer der nächsten haben. Es fühlt sich grad so an, als würde das hier ein Dreiteiler. Nächsten Sonntag geht’s darum, warum uns allen ein wenig mehr emotionale Granularität gut tun würde. Und dann wird richtig lustig, wenn diese Granulariät mit Fantasie-Gefühlen bzw. Vorschlägen für neue Gefühle Realität wird. Das Versprechen: ein neue, noch besser aufgelöste emotionale Wahrnehmung für alle!
Und falls sich jemand wundert, warum dsgf nur noch sporadisch erscheint: Es gibt wichtigere Dinge im Leben. Freundschaft zum Beispiel. Und, wie schön und scheiße das Leben sein kann. Darüber schreibe ich zur Zeit vorrangig. Abonnier gern:
Anekdote: Ich hab einst 7 Tage gefastet, also nur Wasser getrunken. Das war im Sommer. Da fuhr ich draußen an einem Mülleimer entlang, und wahrscheinlich weil mein Körper getrieben war von dem Ziel, Nahrung aufzunehmen, schraubte er seine Ansprüche runter. Denn: Ich roch die Döner-Bier-und-Gammel-Geruchsfahne des Mülleimers und dachte: „Mmmh, nicht schlecht, da geht doch noch was!“