Grenzgängerei, Hierarchie und Empathie: Warum SPIELEN so wichtig ist.
SPIELEN macht nicht nur Spaß, sondern eignet sich perfekt, um im So-tun-als-ob-Modus gefahrlos alles mögliche auszuprobieren. Willkommen zur letzten Folge der Basisemotionen.
Bis einer heult. Mal ist es der eine, mal der andere, aber empirisch betrachtet enden die Spielereien zwischen Kindern mehrheitlich mit Tränen. Sie sind es wert. Denn beim Raufen und Balgen lernen die beiden – nennen wir sie mal liebevoll Stinkmorcheln – vor allem drei Dinge:
Grenzgängerei: Den anderen in die Brennnesseln zu schubsen, geht zu weit. Wenn der andere schreit, das Spiel ist vorbei. Und auch Außenstehende denken, dass das ein unfairer Move war. Die Stinkmorcheln in dieser Geschichte sind soziale Wesen, und die eine von ihnen hat eine weitere Lektion gelernt. Wer andere Kinder in die Brennnesseln schubst, kriegt Ärger mit anderen Kindern. Und Ärger ist doof. So ermöglicht das SPIELEN den kleinen Stinkmorcheln, Grenzen zu erkennen und später als große Stinkmorcheln in seiner sozialen Gruppe gut zurecht zu kommen. Wenn alle Stinkmorcheln die Grenzen kennen, funktionieren Gruppen stabiler – und davon profitiert jedes einzelne Mitglied.
Hierarchie: Wie viele andere Säugetiere auch, beanspruchen auch Menschen Territorien. Man denke nur dann den Ast des Baumes des Nachbarn, der in den Luftraum des eigenen Gartens eingedrungen ist. Außerdem leben Menschen in sozialen Hierarchien. Anekdote: Ich war einst glücklicher Gewinner eines Journalistenpreises, den ein Verlag mit eher männlich-kompetitiven Mindest ausgerufen hatte. Ich saß dann in dem mir zugeteilten Büro im Hochhaus des Verlages und fragte mich gerade, wie dieses vampirzahnartige Ding funktioniert, mit dem man geklammerte Heftklammern wieder aufbiegen kann. Da kam einer vom Verlag rein und meinte: „Vier Spalten? Die kriegt nicht jeder!“. Es ging nicht um Spalten im Layout, sondern um senkrecht verlaufende, schmale Fensterreihen des Büros. Mehr als drei zu bekommen, sei gar nicht so leicht, erklärte man mir später. Weil in meinem Fall aber kein anderes Zimmer mehr frei war, bekam ich nicht die dunkle Kammer mit der einen Spalte, wie es nur standesgemäß gewesen wäre. Sondern ausnahmsweise ein Zimmer mit mondänen 4 Spalten. Die anderen Äffchen in unserer Gruppe waren verwirrt – gilt die Spalten-Hierarchie-Regel etwa nicht mehr? – bis erzürnt – wieso bekommt dieser Fadenwurm von Neuling gleich 4 Spalten?
Bei zwei spielenden Kindern ist eines stets in der Führungsrolle. Es ist quasi die kleine Unterdrücker-Stinkmorchel. Die andere ordnet sich unter und beide haben Spaß dabei – wenn die andere auch mal Unterdrücker*in spielen darf. Das akzeptable Verhältnis beträgt etwa 60 zu 40. Die submissive kleine Stinkmorchel sollte zumindest 40 % der Zeit auch mal den Ton angeben dürfen, sonst kann es zu Beschwerden kommen.Empathie: „Diese Fähigkeit und Bereitschaft, die Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden“, wie Wikipedia es so treffen beschreibt, lernen Kinder ebenfalls beim Spielen. Sie lernen, die Gefühle der anderen kleinen Stinkmorchel zu lesen und zu berücksichtigen. Schließlich wollen, sie, dass das Spiel noch lange weitergeht, es macht ja Spaß. „Das SPIEL-System hat sich offenbar entwickelt (und bereitet uns soviel Freude), weil es tragfähige soziale Beziehungen fördert”, schreibt Mark Solms, Neuropsychoanalytiker, in „Hidden Spring – Warum wir sind, was wir fühlen“.
Wie enorm wichtig SPIELEN ist, wird wohl auch im Buch „The Playful Brain“ von den Pellis deutlich – hab’s aber nicht gelesen. Zwei weitere interessante Aspekte:
Neuronal lässt sich das SPIEL-System kaum verorten. Es scheint den anderen Basisemotionen übergeordnet und von entsprechend integraler Bedeutung zu sein.
Beim SPIELEN lernen die kleinen Stinkmorcheln soziale Regeln, die wiederum komplexer Kommunikation bedürfen. So könnte das SPIELEN zur Entwicklung symbolischen Denkens beigetragen haben – als ein Vorläufer des Denkens an sich.
Jetzt aber mal Schluss mit der Gefühlsduselei. LUST, SEEKING, WUT, FURCHT, VERLASSENHEITSPANIK und FÜRSORGE sowie SPIELEN. Bin ich da zu emotional geworden?
Mit auf den Weg geben möchte ich noch, dass wir unsere Gefühle nicht unterschätzen sollten. Männer können seine Gefühle zwar nicht so gut zeigen (Wer kennt noch das Fischmob Album von 1995?). Aber sie „regulieren praktisch das gesamte willkürliche Verhalten – was bedeutet, im Hier und Jetzt Entscheidungen zu treffen“, so Solms.
Und wenn wir ehrlich sind: Oft haben wir keinen blassen Schimmer, welche Entscheidung die bessere ist. Besonders, wenn es um die letzten Prozente der Unsicherheit geht, in die wir hinein entscheiden, verlassen wir uns auf unser (Bauch)gefühl – das im Laufe des Lebens dazu lernt und einen Erfahrungsschatz anhäuft.
Bis zum nächsten Sonntag: Dann werfen wir mal wieder einen Blick in das Universum da draußen. Keine Zeit? Dann lest die Folge erst recht, denn darin findet ihr ganz viel davon 🫠.