"Ich muss die Drecksarbeit machen!" –Interview mit einem Körper
Bei ihm dreht sich alles um das große Gleichgewicht. Doch ausgerechnet ein Phänomen seiner selbst bringt ihn auf die Palme. Ein Körper über Stoffwechsel, Sterben und Bewusstsein.
Tagsüber sei immer so viel zu tun, da könne er nicht so gut sprechen, meinte der Körper. Viel Reiz-Reaktions-Stress, viel Bewegung, viele Termine. Deshalb trafen wir uns im Bett, spät abends in Dunkelheit und Stille.
Ich: Klingt flach, ist aber deep: Wie geht’s?
Körper: Die Frage der Fragen! Wie geht’s? Das sind zweieinhalb Wörter, die man oft mit einem abtut: gut. Dann ist alles halbwegs ok. Dann läuft die Maschine rund. Keine ernsthaften Verletzungen oder Krankheiten, nix langfristiges oder lebensbedrohliches.
Geht es Ihnen denn gut?
Im Großen und Ganzen ja. Irgendwas ist ja immer, aber mein System hält sich den Umständen entsprechend. Die Entropie macht mächtig Druck und will Unordnung in meine komplexen und fein aufeinander abgestimmten biochemischen Strukturen und Prozesse bringen. Aber noch krieg ich alles gut geregelt. Homöostatisch ist alles im grünen Bereich.
Einerseits frage ich mich, ob Homöostase wohl das einzige Wort ist, in dem ein ö und ein o direkt nebeneinander stehen. Andererseits und wahrscheinlich wichtige: Was ist eigentlich Homöostase?
Die Homöostase ist der Gleichgewichtszustand, nach dem ich in vielerlei Hinsicht immer strebe. Für alle möglichen Parameter gibt es bestimmte Soll-Werte, die ich einhalten muss, damit ich funktioniere. Von daher ist das Leben für mich eine ewige Selbstregulation. Beispiel Eisen: Ich hab ca. 5 Gramm davon an Bord und brauch das Metall, um Sauerstoff aufnehmen und transportieren zu können, aber auch für den mitochondrialen Elektronentransport. Aber fast immer gilt auch hier: Die Dosis macht das Gift (Paracelsus, 1538). Bei zu viel Eisen würde mein Kreislauf kollabieren, der Verdauungstrakt bluten und Leber und Niere irreparabel versagen.
Wie kommen Sie denn auf Paracelsus?
Hab ich mal gelesen. Augen, Gehirn, Informationsverarbeitung – sie wissen schon. Um die Eisenkatastrophe jedenfalls zu vermeiden, darf es auch nicht zu wenig davon sein. Dann würde ich nur müde und unfähig in der Ecke liegen. Folglich messe ich ständig den Soll-Wert des Eisens und reguliere ihn entsprechend. Pro 2 ml Blut gehen mir 1 mg Eisen flöten, bei einer Menstruation sind das etwa 15 bis 30 mg. Ich hol mir das aus der Nahrung zurück, ist eine komplexe Angelegenheit, mehr als zehn Enzyme sind daran beteiligt.
Und der Eisenwert ist nur einer von vielen Parametern?
Ganz genau. Die Homöostase hat viele Gesichter. pH-Wert, Blutdruck, Blutzucker, Calcium- und Phosphat-Haushalt, Temperatur, Hormone, Schlaf und, und, und. So ein Körper ist ja ein offenes dynamisches System. Da muss ich ständig auf Einflüsse von außen reagieren. Mal scheint die Sonne, dann gibt es Frost. Mal gibts Vitamine, mal nicht. Dann die Genexpression und Proteinbiosynthese, bei der immer mal was schief gehen kann.
Klingt eher nach Großbaustelle als nach Vergnügen. Nach kleinteiligem Stress. Wie schaffen sie es nur, den Überblick zu behalten?
Mich persönlich stresst dabei gar nix. Ich sag nur: Selbstregulation. Das System ist so aufgestellt, dass alle Prozesse auf zellulärer Ebene mehr oder weniger automatisch ablaufen. Die Moleküle folgen den Gesetzen der Physik, wenn all die biochemischen Reaktionen innerhalb und zwischen Zellen ablaufen. Cool wird’s im Bereich der Quantenbiologie. So sind einige enzymatische Reaktionen ohne den Tunneleffekt1 gar nicht möglich. Zellen gibt es jedenfalls ca. 300 verschiedene im menschlichen Körper, und zusammen bilden sie einen Organismus, der in der Umwelt da draußen gut zu Recht kommt. In einem Satz: Ich bin ein emergentes Phänomen. Da haben sich einst zwei Zellen getroffen, gemeinsame Sache gemacht, sich vermehrt und zu diesem Körper differenziert. Wie das geht, steht in meinem Genom.
Mit dem Genom haben die beiden Zellen den Bau des Körpers organisiert. Auch der reguläre Betrieb läuft nach dem Plan. Warum aber stirbt ein Körper dann immer eines Tages?
Weil entweder außen oder innen etwas passiert. Von außen können die wildesten Sachen auf einen Körper einwirken. Unterm Reifen eines LKW geht das Licht mechanisch aus, nach dem Prankenhieb eines Bären läuft einem das Blut davon, und Rauchen ist auch nicht gesund. Womit wir bei Krankheiten wären. Und innerlich bzw. biologisch altern Körper halt. Warum? Das ist „eines der am wenigsten verstandenen Phänomene der Biologie“, schreibt Wikipedia. Klar ist: Nachdem die zwei Zellen gemeinsame Sache gemacht haben, nimmt die Vitalität des Organismus für 30 bis 40 Jahre zu und dann nur noch ab. Bis sie den Wert null erreicht.
Die Telomere spielen doch eine zentrale Rolle beim Altern?
Ja, die Schutzkappen an den Enden der Chromosomen, die bei jeder Zellteilung kürzer werden. Werden sie zu kurz, können sich Zellen nicht mehr erneuern. „Von zwei Menschen mit gleichem chronologischen Alter hat die Person mit kürzeren Telomeren ein erhöhtes Risiko, altersbedingte Krankheiten wie Alzheimer oder Krebs zu entwickeln, oder sogar eine kürzere Lebenserwartung“, schreibt die Max-Planck-Gesellschaft.
Für einen Körper können Sie wirklich gut lesen.
Wie ich schon sagte: Augen, Gehirn, Informationsverarbeitung. Wie sie vielleicht gemerkt haben, kann ich auch gut sprechen. Informationsverarbeitung im Gehirn, Mundraum, Nasenhöhle, Schlund für Artikulation und Resonanz, Kehlkopf und Stimmritze für die Töne und Zwerchfell, Lungen, Luftröhre und Brustkorb als Blasebalg.
Sie sprechen immer von „Informationsverarbeitung“. Meinen Sie damit vielleicht ihr Bewusstsein?
Ja, schon, aber das hat nochmal seine ganz eigene Meinung. Sie baten um ein Interview mit einem Körper, und als solcher habe ich Ihnen Rede und Antwort gestanden. Zugegeben: mit Hilfe meines Bewusstseins. Wir zwei sind ja irgendwie auch ein Team. Obwohl mir das Bewusstsein manchmal auf den Sack geht in seiner selbstgefälligen Art. Denkt, es hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen! Erklärt sich die Welt, obwohl es ahnungslos ist und tut so, als hätte es alles verstanden! Während ich hier die Drecksarbeit mache! Etwa, wenn es mich mit Alkohol aus dem Gleichgewicht bringt. Immerhin leidet es dann am nächsten Tag mit! Ein bisschen mehr Bescheidenheit täte dem mal ganz gut! Abgesehen davon, dass es ohne mich gar nichts wäre!
Tut mir leid, falls ich ein heikles Thema angesprochen hab.
Schon gut, schon gut. Am besten führen Sie mit dem Bewusstsein mal ein eigenes Interview. Ich werde zwangsläufig dabei sein, mich dann mit Äußerungen aber zurückhalten.
Gute Idee. Können wir gleich einen Termin ausmachen?
Nächsten Sonntag passt gut.
Entsprechend der Quantenmechanik können Teilchen Barrieren überwinden, obwohl ihre Energie geringer als die Höhe der Barriere ist. Sie tunneln den Berg, den sie laut klassischer Physik nicht überqueren können. Nur aufgrund des Tunneleffektes kann auch unsere Sonne Kerne fusionieren, obwohl Druck und Temperatur eigentlich nicht ausreichen. Danke, Tunneleffekt, dass es Dich gibt! Ohne dich wäre auf der Erde wohl kein Leben möglich!
Homöopathie!