„Wie süß von Dir!“ – „Nun übertreib mal nicht.“ Körper und Bewusstsein im Dialog
Die haben sich auseinandergelebt, ohne es zu merken. Im ersten Zwiegespräch seit Jahrzehnten versuchen sie wieder zueinander zu finden – der Handwerker und das Denkende.
Im Interview mit einem Körper sprach dieser stets von „Informationsverarbeitung“, wenn es ums Denken und Verstehen ging. Obwohl der Körper in solchen Angelegenheiten auf sein Bewusstsein angewiesen war, erwähnte er es nicht. Es stellte sich heraus: Der Körper lebte in einem angespannten Verhältnis mit seinem Bewusstsein. Also sprach ich in einem zweiten Interview mit seinem Bewusstsein – das wiederum seinem Körper gegenüber kritisch eingestellt war.
Die beiden sind seit über 40 Jahren ein Paar: unzertrennlich, auf einander angewiesen und sich wunderbar ergänzend. Funktional ein gutes Team. Doch vielleicht gerade weil sie so unterschiedliche Typen sind – der eine der Handwerker, das andere das Denkende – sind sie von ganz unterschiedlichen Interessen geleitet. Beim Durchsetzen dieser Interessen stehen sich die beiden oft im Weg.
Deshalb bat ich sie zu einem gemeinsamen Gespräch. In der Hoffnung, das Körper und Bewusstsein sich wieder näher kommen.
Guten Tag Körper, hallo Bewusstsein. Kommen wir direkt zum Punkt: Haben Sie sich auseinandergelebt?
Körper: Ich denke schon. Als ich noch jung war, hatte ich eher das Gefühl, der Chefpilot zu sein. Ich liebte meine Eltern und schrie sie an, wenn was mit meiner Homöostaste nicht stimmte. Wenns zu warm oder zu kalt war, ich Hunger hatte oder Aua, ich müde war oder mir das Leben insgesamt gerade nicht gefiel. Es war ein einfaches Leben, man hat sich um mich gekümmert. Doch es wurde komplexer. Im Alter von zwei Jahren musste ich beim Kinderarzt bereits Gegenstände und Tiere benennen, später wurde es immer abstrakter, etwa in Form von – Mathematik, dann …
Bewusstsein: Wenn ich kurz unterbrechen darf: Ohne mich, wäre das alles nicht möglich gewesen. Schließlich ging es dabei ums Denken und Verstehen. Darum, die Welt in Form von Konzepten wahrzunehmen. Von daher, mein Lieber, war ich vom ersten Schrei an präsent. Wenn nicht schon in der In-Vivo-Zeit davor. Ich erinnere mich nur leider nicht dran.
Körper: Du erinnerst Dich nicht, weil ich das Feature „Erinnerung“ in der frühen Phase noch nicht gelauncht hatte. Um mal bei dem Bild zu bleiben: Ich bin nicht nur die Hardware, ich bringe auch den Code mit, aus dem Du Software gemacht bist.
Womit wir beim sogenannten Hard Problem of Consciousness wären, das David Chalmers prägte: Es lässt sich nicht einmal prinzipiell naturwissenschaftlich erklären, wie aus einem Körper subjektives Empfinden hervorgehen kann.
Bewusstsein: Keine Ahnung, ich weiß jedenfalls ganz eindeutig: Ich bin! Und mich zur „Informationsverarbeitung“ zu degradieren, wie es mein Köper getan hat, finde ich unerhört. Ich bin das pure Leben, bin Wahrnehmung und Gefühl, bin motiviert oder müde, ärger mich oder liebe …
Körper: In mir und durch mich. Wie schon gesagt: Ich war nicht nur zu erst da. Ohne mich ist hier nix mehr da. Kein Konzept, kein Gedanke, kein Gefühl.
Wie kam es denn dazu, dass Sie sich ein derart ausgefeiltes Bewusstsein zugelegt haben – mit Sprache und allem drum und dran.
Körper: Das kann ich Ihnen auch nicht genau sagen. Ich bin ein Kind der Evolution. Und die hat rund 3,5 Milliarden Jahre rumprobiert. Trial and Error im Sinne der Fortpflanzung. Solange die unter Wasser, zu Lande und in der Luft Nachkommen entstehen, überleben die entsprechenden Arten in ihrer Nische. Von daher sind wir Menschen jetzt auch nicht unbedingt was Besseres als Fadenwürmer. Die machen immerhin rund 80 % aller mehrzelligen Tiere aus und kommen in fast jedem terrestrischen und aquatischen Ökosystem zurecht. Die kommenden 1,5 Grad Erwärmung wird die kaum kümmern.
Bewusstsein: Was bringt schon globaler Fortpflanzungserfolg, wenn ich bewusstlos als 8 Meter langer Fadenwurm1 in einer Pottwal-Plazenta parasitiere. Leben kann man das ja kaum nennen.
Körper: Nun aber mal halb lang. Da schimmert doch hoffentlich nicht die Frage nach dem Sinn des Lebens durch? Den erreicht Placentonema gigantissima nämlich durchaus. Er bleibt als Art erhalten.
Bewusstsein: Aber was ist mit dem Individuum? Warm mag es zwar sein in seinem Habitat. Aber ansonsten dunkel und reizarm. Da lob ich mir doch eine anständige Fahrt mir der Achterbahn oder den sozialen Austausch im Rausch.
Körper: Du checkst es nicht: Es geht nicht um Dich als Individuum. Genieße von mir aus die Show. Aber denk nicht, Du wärst was besonderes. Sind wir beide nicht.
Bewusstsein: Trotzdem lass ich mir von Dir nicht die gute Laune verderben!
Nochmal zur Idee, dass Sie sich wieder näher kommen. Versöhnlicher von einander denken. Ist es nicht so, dass Sie eigentlich ein unschlagbares Team sind, in dem beide voneinander profitieren?
Körper: Sie haben schon Recht. Ich sehe zwar nicht die unbedingte Notwendigkeit, mit mir Achterbahn zu fahren, mich zu tätowieren oder Fadenwürmer in Pottwalen zu erforschen. Aber diese konzeptionelle Wahrnehmung der Welt hilft mir, mich in allerlei Habitaten zu behaupten. Anders ausgedrückt: Meine Art kann zwar nicht fliegen, aber Flugzeuge bauen. Praktisch auch, dass wir Häuser und Heizungen, Klamotten und Klimaanlagen und was nicht alles erfunden haben, um es uns wohlig zu machen. Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt.
Ihre sogenannte Intelligenz könnte ihrer Art dabei allerdings zum Verhängnis werden. Ohne Körper kein Geist. Aber ohne Ökosystem mit für Menschen habitablen Zonen auch keine Körper ihrer Art.
Bewusstsein: Ja, das zieht mich auch ganz schön runter. Ob es der Welt ohne uns menschliche Bewusstseins besser gehen würde? Jedenfalls, um auf Ihren Gedanken der Körper-Geist-Versöhnung zurückzukommen: Mein Körper ist schon ein geiles Teil. Schwimmen ist der Hit, aber auch Tauchen. Wenn ich ein Extravolumen Luft in die Lungen japse, untertauche, mich mit den Beinen vom Beckenrand abstoße und gleite bis zum Stillstand. Dann ein Zug mit den Armen und einer mit den Beinen – und Gleiten. Da sind wir uns schon ziemlich nahe, ich und mein Körper. Wenn der Sauerstoffmangel immer wichtiger im Leben wird. Dann kämpfen wir miteinander. Ich halte in der Not aus, doch die Not wird immer größer. Ist sie schon lebensbedrohlich oder kann ich noch einen Zug machen? Wenn ich jetzt nicht auftauche, verbrennt meine Lunge und ich mit ihr. Ich werde fast wahnsinnig, so dringend muss ich meine verbrauchte, giftig gewordene Luft loswerden und gegen frische tauschen! Doch zuvor noch ein Zug mit den Armen. Dann die Berührung des Beckenrandes am Ende der Bahn. Und der Rausch der Erlösung.
Körper: Du lieber Himmel, wie pathetisch. Nur weil ich Sauerstoff in Kohlenstoffdioxid verstoffwechsel und der steigende CO2-Gehalt im Blut mehr und mehr auf den Atemdrang drückt. Deshalb tauch ich schließlich auf. Um Luft zu holen, um nicht das Bewusstsein zu verlieren.
Bewusstsein: Du meinst mich?! Also gibst Du nicht nur zu, dass ich ein Teil von Dir bin, sondern sogar, dass Du mich nicht verlieren möchtest?! Wie süß von Dir.
Körper: Nun übertreib mal nicht. Ich würde es so ausdrücken: Ich finde Dich nützlich, um klar zu kommen. Deine Sperenzchen laufen mir aber zuwider. Aber diese Eigenwilligkeit ist wohl der Preis, den ich für Dich zahlen muss.
Bewusstsein: Ich liebe diese Eigenwilligkeit! Dieses unendliche Erlebnis. Vielleicht ist es so: Du lebst, ich erlebe. Ich hab zwei Buchstaben mehr. Schade, dass Du den Zauber nicht spürst, der dem Erleben inne wohnt. Ich spür ganz viel. Mit und durch Dich. Das ist so schön.
Körper: Freut mich, dass es Dir gefällt.
Bewusstsein: Wie sieht es denn mit Sport bei Dir aus? Das müsste Dir doch auch gefallen?
Körper: Ich weiß nicht, ob mir überhaupt etwas gefallen kann. Jedenfalls befürworte ich sportliche Betätigung. Die Maschine durchpusten und aus der Erschöpfung heraus neue Vitalität aufbauen.
Bewusstsein: Ich liebe es, Dich mit Sport an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Dann bin ich viel mehr Du, dann ist vor lauter Stoffwechsel kein Platz mehr für Gedanken.
Das sind doch viel versöhnlichere Töne als noch zu Beginn unseres Gesprächs – wie erfreulich!
Körper: Gut. Dann sind wir hier fertig?
Bewusstsein: Wenn wir schon reden, hätte ich noch eine Frage: All die Gefühle, mit denen ich das Leben erlebe, die kommen aus Dir heraus …
Körper: Wie Deine Gedanken auch. Der Unterschied zwischen Gedanken und Gefühlen ist kleiner als Du denkst. Du kannst Hass denken oder von ihm durchströmt werden.
Bewusstsein: Wahrscheinlich hast Du recht. Mit Worten ist uns schwer beizukommen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Show noch ein Weilchen weiter geht.
Körper: Ich geb mein Bestes, verliere aber zunehmend die Kontrolle. Ausgerechnet die gute alte Zellteilung, mit der ich von der Zygote zum 1,90 Meter großen Körper gewachsen bin, ist bei einigen Zellen kaum zu stoppen. Bei anderen schrumpfen die Schutzkappen an den Chromosomen, so dass sie sich gar nicht mehr teilen. Aber keine Sorge: Der Wahrscheinlichkeit nach werden wir noch ein Weilchen Leben und Erleben. Du bist ja zum Glück auch nicht mehr so übermütig wir früher.
Bewusstsein: Merk ich auch. Ich verbringe jetzt lieber noch ein paar gemütliche Jahre mit Dir, als voll auf Risiko zu gehen. Ich werd mich mehr um Dich kümmern.
Körper: Niedlich, dass Du immer denkst, dass Du das entscheidest. Deinen freien Willen bildest Du Dir nur ein, meine Lieber.
Bewusstsein: Er fühlt sich aber so echt an!
Körper: Das ist Teil des Plans.
Bewusstsein: Egal, ich mag Dich trotzdem.
Körper: Ich Dich auch.
Die meisten Fadenwürmerarten sind so klein, dass Hunderte von ihnen in einen Teelöffel Erdreich passen.
So eine tolle Herangehensweise an das Thema, vielen Dank! Ich habe in meiner Körperserie auch darüber nachgedacht, gezwungenermaßen durch eine Magen-Darm-Infektion... https://open.substack.com/pub/fastjedensonntag/p/70-viren-und-empathie?r=rg5ds&utm_medium=ios&utm_campaign=post